Nachtflug Zur Hölle
Hinterhalte. Im ausgehenden Mittelalter wurden dort mehrere Schlachten gewonnen, indem die litauisch-weißrussischen Verteidiger Invasoren überfielen, die auf der Suche nach ihnen durch die weiten sumpfigen Täler marschierten.
Die Hauptburg des litauischen Großfürsten Gediminas erhob sich auf einem westlichen Ausläufer des Osmansky-Hochlands, Der zehn Stockwerke hohe Wachtturm auf dem Hügel bildete den höchsten Punkt Litauens, von dem aus man nach Norden und Süden siebzig bis achtzig Kilometer weit nach Weißrußland hineinblicken konnte.
Um diesen Vorteil zu nutzen, hatte General Dominikas Palcikas auf dem Hauptturm ein im Krieg von der Royal Navy erbeutetes Radar 293 zur Überwachung des Hubschrauber- und Fahrzeugverkehrs unten in der Ebene installieren lassen. Da die Anlage jedoch schon alt und sehr unzuverlässig war, hatte Palcikas dort oben auch Wachen postiert, die ihre Beobachtungen melden sollten, Palcikas, selbst Absolvent einer sowjetischen Militärakademie, hatte angenommen, alle von der Roten Armee ausgebildeten Generale dächten und entschieden ähnlich. Deshalb war er überrascht, daß General Woschtschankas Heimatbrigade auf der Autobahn nördlich des Osmansky-Hochlands nach Westen zog. Alle Heere, die diesen »unteren Weg« durch Weißrußland gewählt hatten, waren von Verteidigern, die aus den Hügeln hervorbrachen, geschlagen worden.
»Radarkontakt, Hubschrauber, mehrere Ziele, Peilung eins-null-drei Grad, Entfernung zweiundfünfzig Kilometer«, meldete der Radarlotse aus seinem im Burghof stehenden Fahrzeug über Funk. »Mit neunzig Knoten auf Westkurs. In wenigen Minuten sind sie über Wilna-Ost.«
An Bord seines Hubschraubers Mi-8, der ihm als fliegender Befehlsstand diente, nickte Dominikas Palcikas nervös, als er diese Meldung erhielt. Mit zwanzig weiteren Maschinen dieses Typs, die zum Bataillon eins gehörten, stand der Hubschrauber auf einem Felsgrat zwanzig Kilometer östlich der litauischen Grenze. Als Kampfhubschrauber trug jede Mi-8 außer vier Mann Besatzung zehn Soldaten und vier Waffenbehälter mit 57-mm-Raketen, aber Palcikas hatte seinen Hubschrauber mit zahlreichen Funkgeräten ausrüsten und zu einem fliegenden Leitstand umbauen lassen.
Zu seinem Eingreifverband gehörten außerdem zweitausend Soldaten mit etwa hundert Fahrzeugen: Panzer, Schützenpanzer und Jeeps mit rückstoßfreien Kanonen zur Panzerbekämpfung. »Neunzig Knoten Fahrt – das könnten Kampfhubschrauber sein«, meinte der General nachdenklich. »Aber da unsere Patrouillen noch keine Panzerkolonnen gesichtet haben, sind das vermutlich Aufklärer.«
»Bisher sind nirgends Kampfhubschrauber gemeldet worden«, berichtete Oberst Zukauskas, sein Stellvertreter als Kommandeur.
.»Vielleicht ist der Überfall der amerikanischen Marines auf Smorgon erfolgreich gewesen?«
»Schon möglich«, sagte Palcikas mit schwachem Lächeln. In der Tat wies vieles darauf hin, daß die Marines in Weißrußland sehr aktiv waren – das COBRA-VENOM-Team, das von seinen Leuten aufgelesen worden war; die unerklärliche Rückkehr der Marines ins Fisikus-Institut; und nicht zuletzt Berichte über heftige Explosionen und Flächenbrände auf dem Heeresfliegerstützpunkt Smorgon.
Aber die weißrussische Heimatbrigade, die aus Smorgon in Richtung Wilna vorstieß, war noch immer kampfstark: Sie hätte so viele Aufklärungshubschrauber, wie Litauen insgesamt an Hubschraubern besaß, und hatte so viele Mechaniker und Müllmänner, wie Palcikas ausgebildete Soldaten. Daher konnte Palcikas nicht hoffen, Woschtschankas Truppen in offener Feldschlacht zu besiegen…
… und deshalb würde er ihnen auch nicht in offener Feldschlacht gegenübertreten. Palcikas war Realist genug, um zu erkennen, daß weder Gebete noch positives Denken oder generalstabsmäßige Planung bewirken würden, daß die weißrussische Heimatbrigade auf dem Absatz kehrtmachte und davonlief. Statt dessen brauchte er einen Alternativplan, den er in diesem Augenblick in die Tat umzusetzen begann.
Obwohl Woschtschankas Truppen auf der Autobahn MinskWilna schnell vorankamen, hatte diese Route den großen Nachteil, daß sie nur an bestimmten Stellen leicht und bequem verlassen werden konnte. Hatte sich die Marschkolonne einmal in Bewegung gesetzt, war ein seitliches Ausschwärmen so gut wie unmöglich.
Palcikas hatte beschlossen, eine weißrussische Taktik aus der Zeit der Mongolenstürme aufzugreifen.
Als die Mongolen zur Ostsee vorstießen, hatten die Rus aus
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