Nachtflug Zur Hölle
verdammt weh …«
»Ich hab’ Ihnen verboten, es zu belasten, General!« sagte Virkutis vorwurfsvoll. Er versetzte dem Bein einen leichten Klaps, der wie erwartet bewirkte, daß Palcikas erneut das Gesicht verzog. »Mein Gott, Dominikas, wann hören Sie endlich auf mich? Jede Stunde, die Sie Ihr Bein belasten, verlängert den Heilungsprozeß um eine Woche. Haben Sie das kapiert?«
»Ja, Minister.«
»Und ich habe Sie aufgefordert, mich hier in meinem Büro wie früher Algy zu nennen. Sie hören anscheinend nie zu.« Er wickelte den Verband ganz ab und untersuchte die Wunde, was wieder sehr schmerzhaft war.
Palcikas mußte sich beherrschen, um dem Alten keinen Kinnhaken zu verpassen.
»Heilige Muttergottes, dieser Splitter muß anständig weh getan haben, als er da reingegangen ist!«
»Ungefähr wie jetzt, Algy«, knurrte Palcikas. »Wär’s zuviel verlangt, wenn Sie…?«
»Reißen Sie sich ein bißchen zusammen, Dominikas.« Er untersuchte die Wunde sorgfältig, nickte zufrieden und verband sie mit sterilen Mullbinden aus der Arzttasche neben seinem Schreibtisch.
»Dieser Sanitäter, der Sie zuerst versorgt hat – nachts, bei strömendem Regen, und nachdem Sie eine Handvoll Schlamm auf die Wunde geklatscht hatten –, hat erstklassige Arbeit geleistet.«
»Sonst wäre ich verblutet«, bestätigte Palcikas.
»Nächstes Mal passen Sie hoffentlich besser auf Ihre Verbandpäckchen auf«, ermahnte ihn Virkutis.
Palcikas ärgerte sich wieder einmal über die Angewohnheit des Alten, einem schon wegen des kleinsten Versehens Schuldgefühle zu suggerieren. »Ich dachte, wir hätten was Dienstliches zu besprechen, Algy«, sagte der General.
»Gewiß, gewiß«, bestätigte Virkutis. »Eine gute Nachricht: Wir stehen dicht vor dem Abschluß eines Waffenstillstandsabkommens mit Weißrußland.«
»Großartig!« sagte Palcikas. »Aber zu welchen Bedingungen?«
»Die Vereinigten Staaten haben zugestimmt, US-Soldaten im Auftrag der Vereinten Nationen als Friedenstruppen nach Weißrußland zu entsenden«, antwortete der Minister. »Die weißrussischen und GUS-Truppen räumen Litauen und das Kaliningrader Gebiet; die russischen und GUS-Truppen verlassen Weißrußland; alle dort stationierten Atomwaffen werden unter Aufsicht vernichtet; der Waffenstillstand wird durch internationale Aufklärungsflüge überwacht. Als Gegenleistung sind wir bereit, Weißrußland für seine Gütertransporte durch Litauen günstigere Frachttarife einzuräumen.«
»Was wird aus der weißrussischen Armee?« fragte Palcikas. »Sie besteht noch immer aus mehreren hunderttausend Mann und kann uns jederzeit mit Vergeltung drohen.«
»Ich bin überzeugt, daß diese Gefahr sehr abgenommen hat, seit Reaktionäre wie Woschtschanka tot sind«, antwortete Virkutis, »Jedenfalls ist die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit dadurch auf die Probleme der baltischen Staaten gelenkt worden. Ich glaube, daß sie langsam einsieht, daß mit der alten Sowjetunion nicht auch gleich sämtliche Aggressionen verschwunden sind.« Er versetzte Palcikas’ Bein nochmals einen Klaps, stand auf und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. »Trotzdem müssen wir gemeinsam dafür sorgen, daß unser Land auch in Zukunft verteidigungsbereit bleibt, mein Freund. Falls Sie weiter mitmachen wollen, meine ich.«
»Natürlich!« sagte Palcikas. »Dieser kleine Kratzer wird mich nicht daran hindern, meine Pflicht zu tun.«
»Na ja, das Abseilen aus Hubschraubern lassen Sie vorläufig lieber bleiben«, meinte Virkutis lachend. »Andererseits gibt’s keinen medizinischen Grund, Ihnen die Dienstausübung zu verbieten. Aber Sie haben einiges mitgemacht, Dominikas – zuviel mitgemacht, könnte man behaupten,«
»Was soll das wieder heißen?«
»Das soll heißen, daß die meisten Leute – damit meine ich Regierungsmitglieder, Geschäftsleute und prominente Mitbürger im ganzen Land – Ihre Leistungen als Oberbefehlshaber unserer Streitkräfte anerkennen, aber gewisse Zweifel daran hegen, ob Ihr missionarischer Eifer ganz dem entspricht, was wir für die Zukunft brauchen.«
»Fordern Sie meinen Rücktritt, Minister?« fragte Palcikas aufgebracht. »Tun Sie das?«
»Nein, das tue ich nicht, Dominikas«, antwortete Virkutis. »Aber ich mochte, daß Sie mal darüber nachdenken. Sie sind immer ein vorausschauender Mann gewesen, Dominikas, aber was Sie in letzter Zeit durchgemacht haben, hat Ihren Blick möglicherweise etwas getrübt.«
»Ich kann’s einfach nicht
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