Nachtflug Zur Hölle
glauben, Minister!« sagte Palcikas erregt.
»Mein Beruf, mein ganzer Lebensinhalt ist die Verteidigung meiner Heimat, meines Landes – und jetzt erzählen Sie mir, daß ich diese Tätigkeit nicht effektiv und objektiv ausüben kann?«
»Ich fordere Sie lediglich auf, darüber nachzudenken, Dominikas«, wehrte Virkutis ab. »Ich weiß, daß Sie mir selten aufmerksam zuhören, aber vielleicht kann ich Ihnen folgendes begreiflich machen: Nachdem Sie mitgeholfen haben, ein starkes, selbstbewußtes Land aufzubauen, wird es jetzt vielleicht Zeit, aus den Schützengräben zu kommen und sich an den Blumen auf den Feldern zu erfreuen, anstatt sie von Panzern niederwalzen zu lassen. Verstehen Sie das, Dominikas? Und hören Sie auf, mich Minister zu nennen, sonst lasse ich Sie ab sofort nicht mehr von hübschen Krankenschwestern, sondern von bulligen Sanitätern mit behaarten Armen versorgen.«
Darüber mußte Palcikas wider Willen lächeln. »Schon gut, schon gut«, sagte er nickend. »Vielleicht trete ich in ein, zwei Jahren freiwillig ab. Aber im Augenblick geht’s mir vor allem darum, mein Oberkommando wieder funktionsfähig zu machen. Wenn ich hier nicht mehr gebraucht werde, muß ich nach Trakai zurück.«
»Doch, Sie werden noch gebraucht.« Virkutis schob den Adjutanten beiseite, um die Griffe des Rollstuhls, in dem Palcikas saß, selbst zu fassen. Er schob ihn auf den Flur hinaus, in den Aufzug, den Hauptkorridor des Parlamentsgebäudes entlang und rechts abbiegend auf eine reich geschmückte zweiflüglige Tür zu. Zwei Soldaten, die dort Wache hielten, öffneten ihnen die Tür.
»Was zum Teufel soll das, Algy?« fragte Palcikas, als ihm klar wurde, wohin sie unterwegs waren.
»Nennen Sie mich Minister, General«, verlangte Virkutis. »Mein Gott, hören Sie denn nie zu?«
Über zweihundert Männer und Frauen, die Abgeordneten des litauischen Parlaments, erhoben sich, als Palcikas und Virkutis im Plenarsaal erschienen. Trompetenstöße kündigten ihr Kommen an, und der Zeremonienmeister verkündete mit lauter Stimmte: »Herr Präsident, meine Damen und Herrn Abgeordneten, verehrte Gäste und Mitbürger – der Oberbefehlshaber unserer Selbstverteidigungskräfte, General Dominikas Palcikas!«
Donnernder Applaus brach los, und Pressefotografen veranstalteten ein Blitzlichtgewitter, während Virkutis den General nach vorn zum Podium schob. Der Parlamentspräsident bat mehrmals um Ruhe, aber seine Aufforderung wurde minutenlang ignoriert.
»Das Wort bat der Präsident der Republik, der ehrenwerte Gintarus Kapocius«, verkündete der Parlamentspräsident. Kapocius verließ seinen Platz auf dem Podium und stellte sich neben Palcikas’ Rollstuhl.
»Herr Präsident, meine Damen und Herrn Abgeordneten, verehrte Gäste und Mitbürger, ich bin mir durchaus bewußt, daß Jubelfeiern gegenwärtig verfrüht wären. Auf litauischem Boden stehen noch immer feindliche Truppen. Unser Land leidet noch immer unter den Auswirkungen der Atomexplosion, und es wird lange dauern, bis alle Schäden, die Volk und Staat erlitten haben, vollständig bekannt sind.
Aber wir haben uns heute versammelt, um den Mann zu ehren, der durch seinen Mut und seine Führungskraft maßgeblich dazu beigetragen hat, unsere Nation vor dem sicheren Untergang zu retten.
Gegen weit überlegene feindliche Kräfte hat er sich mit seiner kleinen Truppe erfolgreich behauptet und die weißrussischen Invasoren durch Guerillaüberfälle zermürbt. Er ist für uns alle ein wirklicher Held: ein Vorbild für die Litauer und freiheitsliebenden Menschen in aller Welt.«
Der Beifall hielt wiederum einige Minuten an, bis sich der Präsident erneut Gehör verschaffen konnte. »Aber ich habe heute eine weitere Ehrenpflicht zu erfüllen. Als Symbol seiner Loyalität Volk und Regierung gegenüber hat General Palcikas einem Mitglied dieses Parlaments zwei sehr wertvolle Gegenstände anvertraut. Heute habe ich die ehrenvolle Aufgabe, sie ihm zurückzugeben – als Beweis unserer Achtung und unseres Stolzes auf ihn und seine Taten für unser litauisches Vaterland. Miss Kulikauskas?«
Durch einen Seiteneingang betraten Anna Kulikauskas und Korporal Georgi Manatis den Plenarsaal. Während der Korporal die Fahnenstange schräg hielt, entfaltete Anna die Staatsflagge, die das litauische Staatschwert umhüllte, und übergab es Palcikas. Tosender Beifall brandete auf, als der General das kostbare Geschenk in die Höhe reckte.
Aber inmitten dieses allgemeinen Jubels hatte
Weitere Kostenlose Bücher