Nachtflug Zur Hölle
die David Luger »umdrehen« sollte, ohne ihn psychisch zu zerbrechen, Sein geschulter Verstand mußte intakt bleiben, während Bewußtsein und Kurzzeitgedächtnis ausgeblendet und durch die neue Identität des Dr.
Iwan Sergejewitsch Oserows ersetzt wurden.
In einer Zelle wurde David Luger auf einem Wasserbett festgeschnallt, welches genau seine Körpertemperatur aufwies, um von dort kommende Sinnesreize möglichst auszuschalten. Er war nackt, aber mit einem dünnen Laken zugedeckt, damit kein Kondenswasser von der feuchten Decke auf seine Haut tropfen und ihn wecken konnte. In seiner linken Armvene steckte eine Kanüle, durch die er von einem EEG-gesteuerten elektronischen Dosiergerät abwechselnd den Tranquilizer Haloperidol und das starke Halluzinogen PCP –
Phencyclidinhydrochlorid, auch »Angel Dust« genannt – als Tropfinfusion erhielt. Seine Augen waren mit einer dichtanliegenden weichen Binde bedeckt, und die Ohren verschwanden unter Kopfhörern, aus denen Anweisungen, Mitteilungen, Propaganda, Lärm. Nachrichten, Informationen und weitere akustische Signale drangen – oder die für absolute Stille sorgten.
Im dritten Jahr seiner Gefangenschaft im Fisikus-Institut war Oberleutnant David Luger das Objekt eines der größten Gehirnwäscheversuche der KGB-Geschichte.
Indem Gabowitsch und seine KGB-Mitarbeiter Lugers Sinnesreize kontrollierten und seine Gehirnfunktionen beeinflußten, konnten sie Lugers Bewußtsein nach Gutdünken verändern. Sie versuchten, sein Kurzzeitgedächtnis ganz zu löschen und ihm statt dessen eine ganz neue Persönlichkeit – Dr. Iwan Sergejewitsch Oserow – einzupflanzen.
Als Wiktor Gabowitsch nun den Zulu-Bereich betrat, war er wegen des Vorfalls im Konferenzsaal noch immer aufgebracht. »Was zum Teufel ist da eben passiert?« fragte er den Chefarzt scharf, »Er ist völlig ausgerastet!«
Der Arzt legte den Zeigefinger auf seine Lippen und deutete nach draußen. Erst als Lugers Zellentür abgesperrt war, sagte der Chefarzt; »Das Tonbandprogramm und die Tropfinfusion laufen erst an, Genosse General. Absolute Ruhe ist wichtig, damit…«
»Sein Ausrasten vor diesen Eierköpfen hätte das ganze Projekt gefährden können! Er hält nicht wie versprochen durch!«
»Genosse General, der Einsatz des Entzugs von Sinnesreizen ist keine exakte Wissenschaft«, stellte der Arzt fest. »Die Persönlichkeit der Versuchsperson ist stark und widerstandsfähig. Mit Drogen und Hypnotherapie über das Audiosystem lassen sich nur bestimmte Ebenen des menschlichen Unterbewußtseins erschließen, während andere, die noch tiefer sitzen, früher oder später an die Oberfläche gelangen. Ihr Auftauchen kann Wochen, sogar Monate erfolgreicher Arbeit zunichte machen.«
»Oserow hat über ein Jahr lang unermüdlich am Projekt Fi-170 mitgearbeitet, ohne auch nur ein englisches Wort hören zu lassen, und jetzt ist er in vierzehn Tagen dreimal durchgedreht!« sagte Gabowitsch wütend. »Die Entwicklung befindet sich in einer kritischen Phase. Er muß durchhalten, bis dieses Flugzeug fertig ist!«
»Ich kann für den Erfolg nicht garantieren, Genosse General«, entgegnete der Chefarzt, »Wir können nicht mehr tun, als die Behandlung fortzuführen.«
»Beschleunigen Sie die Behandlung«, verlangte Gabowitsch. »Verdoppeln Sie die Dosen.«
»Lieber nicht, wenn Sie auf einen brauchbaren, vernünftigen Ingenieur Wert legen. Überlassen Sie das getrost mir, Genosse General.
Oserow tritt morgen früh wieder an – frisch, ausgeruht und arbeitswillig.«
Wiktor Gabowitsch kniff die Augen zusammen. »Das will ich hoffen!« knurrte er und ließ den Arzt stehen.
Flughafen Wilna, Litauen
6. Dezember, 14.37 Uhr
In den Monaten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ihrer Ablösung durch die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und dem Vertrag über den Abzug aller ausländischen Truppen aus Litauen waren KGB-General Wiktor Gabowitsch und der weißrussische Generalleutnant Anton Woschtschanka sich nie begegnet, obwohl sich ihre Wege im Südosten Litauens oft gekreuzt hatten. Auch wenn Gabowitsch als Mitglied des GUS-Rates für innere Sicherheit und Woschtschanka als Offizier des GUS-Oberkommandos auf dem Papier derselben Organisation angehörten, hatte sich an ihren grundsätzlichen Einstellungen nichts geändert: Gabowitsch war wie zuvor ein KGB-General, Woschtschanka blieb weiterhin ein weißrussischer General.
Aus diesem Grund begann ihr erstes Treffen, das Major Teresow, Gabowitschs rechte Hand,
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