Nachtflug Zur Hölle
und Surkow machten kehrt und ließen die anderen stehen. Major Teresow überzeugte sich davon, daß sie den ersten Stock des Gebäudes verließen, bevor er zu Gabowitsch zurückkehrte.
»Zum Teufel mit diesen litauischen Schnüfflern!« sagte er aufgebracht. »Glauben Sie, daß sie mitgekriegt haben, was wir besprochen haben?«
»Keine Ahnung«, knurrte Gabowitsch. »Aber sorgen Sie dafür, daß der Zugang für litauische Inspektoren ab sofort beschränkt oder ganz gesperrt wird.«
«Wie soll das klappen?« fragte Teresow. »Die Gemeinschaft garantiert den Litauern ebenso freien Zugang wie uns. Überhaupt darf hier inzwischen jeder rein – litauische Offiziere, weißrussische Soldaten, polnische Investoren, alle. Wir haben nicht mehr genug Einfluß, um durchsetzen zu können, daß die GUS uns die Litauer vom Hals halt.«
Gabowitsch wollte den Major schon wegen dieser Frage zurechtweisen – schließlich war es seine Pflicht, erteilte Aufträge auszuführen –, aber dann schwieg er doch. Dieses Problem würde sich weiter verschärfen, je näher der Termin rückte, an dem das Fisikus-Institut tatsächlich an die Litauer übergeben werden mußte. Der Vertrag zwischen Litauen und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bestimmte, daß die GUS alle ehemals sowjetischen Einrichtungen bis 1995 an Litauen übergeben mußte. Die GUS durfte alle vor dem 1. Juni 1991 in Litauen hergestellten oder nach Litauen eingeführten Erzeugnisse oder Ausrüstungsgegenstände aus diesen Einrichtungen abtransportieren, wobei die Transporte von beiden Seiten ständig überwacht und verifiziert wurden.
Laut Vertrag gehörten alle Forschungsergebnisse des Fisikus-Instituts und seine Erzeugnisse – auch der Stealth-Bomber – der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Das Problem war nur, daß die GUS nichts von diesem Flugzeug wußte. Der Bomber Fi-170 war unter strenger Geheimhaltung von einem Team sowjetischer Wissenschaftler entwickelt worden, und KGB und Luftwaffenführung hatten es verstanden, seine Existenz über Jahre hinweg geheimzuhalten.
Als ranghöchster KGB-Offizier in Litauen war Wiktor Gabowitsch zur treibenden Kraft dieses Projekts geworden: Er hatte die Sicherheitsvorkehrungen dramatisch verschärft, das Institut von einer Wachmannschaft in Regimentsstärke schützen lassen und ihm die besten Wissenschaftler und Ingenieure gesichert – darunter auch seinen Gefangenen David Luger.
Als die sowjetische Regierung das Fi-170-Programm unmittelbar nach dem Putschversuch im August 1991 einstellen ließ, wurde die Weiterentwicklung auf Teilzeitbasis aus Gabowitschs Fonds für »Sonderprojekte« finanziert. Als »schwarzes« Projekt wurde die Fi-170 mit fast unbegrenzten Geldmitteln gefördert, bis die neue Gemeinschaft Unabhängiger Staaten 1992 den KGB auflöste und mit Litauen einen Übergangsvertrag abschloß. Vor allem wegen der Stärke seiner „Privatarmee“ und des weiter intakten Netzes aus KGB-Agenten war Gabowitsch in Litauen und seinen Nachbarstaaten noch immer sehr mächtig – aber die schwindende Kraft der Gemeinschaft und der rasch wachsende Einfluß Litauens in dieser Region ließen seine Macht unaufhaltsam dahinschmelzen.
Mit der Kontrolle über das Fisikus-Institut hätte er alles verloren, wofür er lebte: Macht, Geld und Einfluß. Wie die meisten sowjetischen Wissenschaftler des Instituts hatte er keinen Grund, sich auf eine Heimkehr nach Rußland zu freuen. Sobald diese Einrichtung ihre Pforten schloß, verloren sie alles und standen praktisch auf der Straße.
Kurz nachdem die Litauer abgezogen waren, kam Dr. Fursenko aus dem Konferenzsaal und steuerte sofort auf Gabowitsch zu. »Dr.
Oserow erholt sich doch wieder?« fragte er besorgt.
»Das nehme ich an, Doktor.« Er machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »Eigentlich müßte ich mich für das Verhalten meines Kollegen entschuldigen…«
»Unsinn, General!« unterbrach ihn Fursenko energisch. »Dr. Oserow ist vielleicht ein bißchen… exzentrisch, aber er stellt eine willkommene Bereicherung unseres Technikerkollektivs dar. Übrigens hat er natürlich recht: Unsere Computermodelle berechnen Radarquerschnitte nur als Funktion von Gesamtfläche und Bauweise, ohne die wichtigeren Haupt- und Nebenkeulen zu berücksichtigen.
Aber glauben Sie, General, daß Iwan… äh, Dr. Oserow imstande sein wird, unser Rechenprogramm wie angekündigt zu modifizieren?
Er hat heute vormittag einen sehr verwirrten Eindruck gemacht.«
»Dr. Oserow steht im Augenblick
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