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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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›Die Hafengegend ist ein raues Pflaster; Sie dürfen nicht auffallen. Jeder, der Ihnen Schwierigkeiten bereitet, verdient reichlich, was er bekommt, aber Sie würden Energie verschwenden, die Sie später vielleicht benötigen.‹
    Sie visualisierte ihr Kleid für ihn. Er befürchtete, dass dessen Qualität trotz seiner Schlichtheit den Stammgästen des Hafens sofort auffallen würde, Menschen, die ein gutes Auge dafür hatten, was etwas wert war. ›Nehmen Sie den Schmuck ab.‹
    Sie tat es, bereitwillig bei den Ohrringen, widerstrebender bei dem Anhänger um ihren Hals, einem kunstvollen Liebesknoten aus Silber. Als sie ihn in der Hand hielt, dachte sie an den jungen Studenten, der ihn ihr geschenkt hatte, und wie er dafür bezahlt hatte. Hearne war offenkundig ein begabter Kartenspieler. Grundgütige Imogene, dachte Ishmael, wenn er doch nur mit mir gehen könnte. Selbst ihr Mann als Begleiter wäre besser gewesen, als ganz allein zu sein.
    ›Ich werde jetzt nicht aufgeben‹, sagte sie, weil sie sein Zaudern spürte. ›Und ich bin nicht allein.‹
    ›Es gibt da eine Pension …‹ Er versuchte, nicht in allen Einzelheiten an die Gewohnheiten der Bewohner zu denken, und sagte nur: ›Es sind gute Menschen.‹
    ›Und wenn Floris Entführer sie in der Zwischenzeit wegbringen? Ich werde diese Chance nicht vergeuden. Sie halten mich für mächtig. Sie halten mich für gefährlich. Dann zeigen Sie mir, wie ich es anstellen muss. Wenn Sie Einwände erheben, statt mir zu helfen, sind Sie nur eine Belastung für mich.‹
    Sie besaß eine Begabung dafür, auf den Punkt zu kommen. Er gab nach. ›Lassen Sie auch die Pistole mit dem Halfter zurück. Diese Art von Waffe brauchen Sie nicht. Sobald Sie aussteigen, nehmen Sie Ihren Schleier ab – der hebt Sie hervor. Telmaine, Sie gehören offensichtlich nicht hierher …‹
    ›Ich bin eine einstmals respektable Dame mit einer schändlichen Angewohnheit, die gesellschaftlich, aber noch nicht mit ihrem Geld am Ende ist – zumindest nicht mit dem Geld, das zu entwenden sie imstande war.‹ Von Balthasar wusste sie, dass es solch unglückliche Menschen gab und wie sie sich möglicherweise benahmen, wenn ihr Verlangen sie zu immer verzweifelteren Versuchen trieb, den Entzug zu vermeiden.
    ›Das könnte funktionieren‹, sagte Ishmael. ›Ein Letztes noch, kümmern Sie sich um Ihre Hand.‹
    ›Ich will keine Energie verschwenden.‹
    ›Sie verschwenden Lebenskraft, indem Sie mit mir sprechen‹, erklärte er nachdrücklich. ›Kümmern Sie sich um Ihre Hand. Sie brauchen sie vielleicht unversehrt.‹
    Die Kutsche bog in den Oberhafenkreisel ein; weiter war keine Droschke aus dem Stadtzentrum zu fahren bereit. Der Kutscher kam seiner gesellschaftlichen Pflicht nach, stieg ab und öffnete ihr den Wagenschlag. Telmaine schlüpfte in ihre geplante Rolle, hielt ihm eine leicht zitternde Hand hin und ließ sich von ihm beim Aussteigen helfen. »Warten Sie hier, bitte.«
    ›Zeigen Sie ihm das Geld und geben Sie ihm ein Drittel. Es könnte genug sein, um ihn dort festzuhalten, falls nichts geschieht.‹
    Sie fummelte das Geld aus ihrer Börse, gab ihm drei Münzen und hielt die anderen fest umklammert, wobei sie schluckte, als litte sie an Angst oder Übelkeit. Doch sie verspürte nur ein Gefühl tiefer Unwirklichkeit, als bewege sie sich durch eine Geschichte, von der sie sich nicht einmal vorstellen konnte, sie lesen zu wollen. ›Darüber werden wir uns später Sorgen machen.‹
    ›Man sorgt sich nicht erst später um seine Rückzugsmöglichkeiten.‹
    ›Und inwiefern soll das helfen?‹
    Das Ridikül unter den Arm geklemmt, schob sie ihren Schleier nach hinten. Mit schnellen, nervösen Schritten machte sie sich auf den Weg zum Unterhafen. In seiner Zelle lehnte Ishmael sich mit hochgezogenen Knien an die Wand. Sein Herz hämmerte so heftig, dass ihm schwindlig wurde, es hämmerte, weil sie sich in Gefahr begab und er nur im Geiste bei ihr sein konnte. Es hämmerte heftiger als jemals in den Schattenländern.
    ›Unterdrücken Sie Ihre Panik, Ishmael‹, sagte sie streng. ›Helfen Sie mir.‹
    ›Sondieren Sie energischer‹, riet er ihr. ›Sie müssen wissen, was um Sie herum vorgeht.‹
    Er kannte den Oberhafen gut und den Unterhafen besser, als ihm lieb war. Hier, im Oberhafen, der vor Industrie und Handel brodelte, bestand die Gefahr eher darin, einen Unfall zu erleiden, als einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Die breiteren Straßen verfügten über Gehsteige, denn

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