Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
Telmaines Anteil an der Heilung ihres Mannes unerwähnt. Den Rest erzählte er so ausführlich, wie er nur konnte, ohne nur eine seiner Auslassungen zu verraten. Als er zum Ende kam, ging Guillaume im Raum auf und ab und trank mit großen Schlucken einen Kaffee, stark genug, um die Knochen eines Skelettes zum Klappern zu bringen. Ishmael hatte seine Tasse nach wenigen Schlucken mit Rücksicht auf seinen Magen und seine ruhige Hand beiseitegestellt.
»Eine Schande, dass Sie den anderen nicht haben sprechen hören, denn wenn er gesprochen hätte, wären wahrscheinlich die Reste guter Erziehung vernehmbar gewesen, die vor die Hunde gegangen ist. Ihre Beschreibung klingt nach Melchisedoc di Palmar.«
»Ich habe von ihm gehört«, sagte Ishmael. Ein Schattengeborener in Gestalt eines Nachtgeborenen, wenn man den Berichten Glauben schenken durfte.
»Ich wusste nicht, dass er sich mit Kindern abgibt, aber ich denke nicht, dass dies unter seiner Würde wäre. Und ich weiß, wo man ihn findet. Das ist immerhin ein Anfang.« Guillaume nahm den letzten Schluck von seinem Kaffee und stellte die Tasse klirrend beiseite. »Sagen Sie Hearne, ich werde seine Florilinde zurückholen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Selbst wenn man jugendliche Dramatik in Rechnung stellte, lag in diesem Schwur eine tiefe Überzeugung. Ishmael fand, dies sei ein guter Moment, um zu fragen: »Woher kennen Sie Hearne?«
Zuerst dachte er, dass Guillaume nicht antworten würde. Dann jedoch begann der andere Mann zu sprechen: »Ich bin mehr tot als lebendig in dieser Halbweltklinik gelandet, in der er arbeitet. Die Ärzte meiner Familie hatten mich schon lange aufgegeben und erklärt, ich würde binnen Monaten sterben. Hearne reinigte mich, gab mir Medizin und verbrachte drei Nächte in Folge mit meiner Behandlung. Dann überredete er mich, ihm zu gestatten, mich langfristig zu behandeln. Das war vor drei Jahren. Inzwischen denke ich an manchen Tagen, wenn ich zur Tür hinaustrete, dass es eine Zukunft geben könnte. Wenn dies wirklich stimmt, ist es sein Werk.«
»Dann ist er gut in dem, was er tut?«
Eine forsche Sondierung, ein nachdenkliches Schweigen.
»Ich habe einen Grund für meine Frage«, sagte Ishmael. »Einen persönlichen Grund.«
»Nun, dann würde ich sagen, er ist gut.« Mit einer weiteren nachlässigen Bewegung seiner großen, zerschundenen Hand wandte er sich ab. »Ich werde ausgehen, aber ich weise Zacharias an, Ihnen das Gästezimmer herzurichten. Sie dürften meinem Ruf als Gastgeber keinen Dienst erweisen, wenn Sie mein Haus wie das leibhaftige Elend verlassen.«
Das ist Gil, wie er leibt und lebt, dachte Ishmael, und bedauerte gleichzeitig, dass er niemals in der Lage sein würde, diesen Mann seinen Freund zu nennen. »Seien Sie vorsichtig«, mahnte er und hielt sich den Ellbogen, als er aufstand. »Es gibt da einige Dinge, die ich Ihnen nicht verraten konnte. Diese Sache könnte größer und seltsamer sein, als wir ahnen.«
Gil lachte spöttisch. »Bewahren Sie Ihre Rätsel, Magister Baron, wenn Sie müssen.«
Magister, dachte Ishmael, in der Tat. Der Verdacht, dass Tercelle Amberley verhext worden war, stellte ihn vor ein weiteres Problem, und zwar eines, das ihn ausschließlich als Magier, nicht aber als Edelmann oder unregelmäßig tätigen Agenten betraf. Einige Aspekte von Tercelle Amberleys Erlebnis ließen sich nur allzu leicht mit Magie erklären: Ihr völliges Verfallensein und ihre felsenfeste Überzeugung, ihr Geliebter sei tagsüber zu ihr gekommen. Durch seinen Besuch hatte er Tercelle Amberley vielleicht dazu gebracht, über einen magischen Einfluss nachzudenken. Zudem hatte sie sich als absolut skrupellos erwiesen, wenn es um ihre Selbstverteidigung ging. Sofern sie es nicht schaffte, ihre Niederkunft weiter geheim zu halten, würde sie Zuflucht zu Gegenanklagen nehmen, und wenn sie das tat, würden mehr als nur die schuldigen Magier fallen. Die Gesellschaft mochte Magie geringschätzen und diejenigen meiden, die sie praktizierten, aber das bedeutete nicht, dass sie eine von ihr ausgehende Gefahr ignorieren würde. Magierjagden und Massenhinrichtungen mochten angeblich der Vergangenheit angehören, aber er wollte nicht herausfinden, wie sehr man sich darauf verlassen konnte.
Für den Moment jedoch obsiegte der praktische Sinn eines alten Schattenjägers, die Weisheit. Ihr zufolge konnte ein ermüdeter Jäger viel Zeit verschwenden, wenn er eine frische Spur übersah. Er hatte nicht geschlafen,
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