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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Informationen erhielt. Bei der Frau handelte es sich um eine stämmige, welterfahrene Person, von der er annahm, sie sei stolz, ihren Platz zu kennen, und noch stolzer, dass alle anderen ihn kannten. Er zeigte sein mühsam geritztes Papier vor und sagte mit seinem besten Provinzakzent, dass er Freunde suche, von denen er gedacht habe, sie lebten in dieser Straße. Er müsse sich wohl ihre Hausnummer falsch eingeprägt haben. Er habe gedacht, es könne Haus Nummer zwanzig sein. Oh nein, sagte sie, in Nummer zwanzig wohne eine Dame, die gerade erst eingetroffen sei, eine Dame, die sich keiner guten Gesundheit erfreue.
    Ishmael tat, als interessiere er sich nicht für derartige Einzelheiten, und erkundigte sich weiter nach der möglichen Hausnummer seiner vorgeblichen Freunde. Nein, Nummer zweiundzwanzig stehe leer; die junge Familie sei noch nicht vom Meer zurückgekehrt. Und sie sei Nummer vierundzwanzig. Nein, sie glaube nicht, dass irgendjemand in der Straße diesen Namen trage, obwohl sie Nummer zwölf nicht kenne. Ob er von sehr weit hergereist sei?
    Das sei er in der Tat, erwiderte Ishmael, aber ihm bliebe ja noch genügend Zeit, um seine Freunde aufzuspüren, er müsse sich nun jedoch wegen der Sonnenaufgangsglocke sorgen. Die Menschen hier seien nicht so bereitwillig, in Not geratene Fremde über ihre Schwelle zu lassen.
    In der Tat nicht, sagte sie, denn es sei ein bevorzugter Trick von Verbrechern, sich Zugang zu einem Haus zu verschaffen und es dann unter der Behauptung, vom Sonnenaufgang überrascht worden zu sein, auszurauben. Obwohl dies hier als eine gute Gegend gelte, brächten einige Besucher einen durchaus ins Grübeln. Erst an diesem Nachmittag sei sie einem Mann begegnet, der in Nummer zwanzig gegangen sei. Es habe sich um einen Schurken gehandelt mit großen Brandwunden im Gesicht.
    Er war froh, dass sie seine Miene nicht peilte, bevor er einen Ausdruck unschuldigen Erschreckens heucheln konnte. »Madame, Sie machen mir Angst«, sagte er und verabschiedete sich erregt. Er wuselte die Treppe hinunter und ging die Straße hinauf, wobei sein Gehstock trotz seiner Gummispitze auf dem Pflaster klapperte. Ishmael schwitzte. Entweder gehörte Tercelle Amberley zu den Schurken in diesem Spiel oder zu den Opfern. In welche Richtung auch immer die Karten fielen, dies war gewiss eine Falle für ihn.
    Er hatte niemals einen Funken Vernunft besessen. Das hatte sein Vater gesagt – und dagegen konnte er keine Einwände erheben. Ein vernünftiger Mann wäre mit der ersten Kutsche davongeholpert, hätte die Kutschen gewechselt, die Maskerade abgestreift und wäre untergetaucht. Ein vernünftiger Mann wäre zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei Tercelle Amberley um eine Verbrecherin handelte, und hätte sie ihrem wohlverdienten Schicksal überlassen. Ishmael schwenkte am Ende der Häuserreihe herum und schaute zu der Steinmauer hinüber, die die hinteren Gärten umgab. Er öffnete seine wattierte Jacke, um sich besser bewegen zu können, und stieß sich den Gehstock wie ein Schwert in den Gürtel. Dann sprang er hoch, um über die Mauer des letzten Gartens in der Reihe greifen zu können, und hievte sich in die Büsche dahinter. In deren Schutz umkreiste er den Garten. Auf der gegenüberliegenden Seite diente ihm ein kleiner Baum als Trittleiter. Mit einem einzigen Peilruf verschaffte er sich eine Vorstellung von dem Garten – es handelte sich um ein Labyrinth aus niedrigen Hecken und rockbreiten Pfaden, die um mehrere seichte Teiche herumführten. Er lief quer durch den Garten, wobei er sein Sonar nur hin und wieder aufflackern ließ und über die Hecken und die Pfade hinwegsprang. Diesmal nahm er die Mauer im Laufschritt, schwang sich hinauf und landete in einer tiefen Hocke auf der Mauerkrone. Dort hielt er nicht länger inne, als er für einen schnellen, leichten Peilruf brauchte, einen Ruf, der ihm keinen Menschen offenbarte. Schließlich ließ er sich in Tercelle Amberleys Garten auf die Erde fallen. Er zog Waffe und Gehstock und benutzte Letzteren am Rand des Gartenpfades, um zur Tür zu finden. Seine Schuhe klapperten wie ein unendlich sanfter Peilruf, als er die Treppe hinaufging.
    Die Tür war nicht ganz verschlossen. Als er sie aufdrückte, roch er Blut und Fäkalien, ausgestoßen in panischer Angst oder Todeskrämpfen. Er zog die Tür zu, lehnte den Gehstock dagegen und überflog den Raum mit einem bloßen Wispern von Ultraschall.
    Tercelle Amberley lag auf dem Rücken auf dem Boden, die Beine

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