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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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seine Deckung, um Luft zu holen und die Aufmerksamkeit der Menschen auf den anderen und vermutlich sichereren Fluchtweg zu lenken. Dann begann das Haus über ihnen mit einem gewaltigen, heißen Donner einzustürzen. Die Decke hielt fürs Erste, aber ein feuriger Regen feiner Trümmer brannte auf seiner Haut, und etwas traf ihn hart und sengend an der Schulter. Auf der anderen Seite des Raums schrie jemand: »Die Tür! Verriegelt die Tür!«
    In dem grässlichen Miasma aus Rauch und Staub konnte er den anderen Eingang nicht länger peilen. Er wusste jetzt, dass er sich für die eine oder andere Möglichkeit entscheiden musste, und er fasste seinen Entschluss. Keuchend duckte er sich wieder in die Nische, und sein Kopf kratzte gegen die Unterseite der Treppe. Seine suchenden Hände stießen auf Ziegelsteine, dann auf einen Spalt, den er abzumessen suchte, so gut es ging. Für einen Moment schien es ihm, als wäre die Lücke nicht breit genug für seinen kräftigen Körper, doch dann zwängte er sich entschlossen hinein. Sein Herz hämmerte gegen Ziegelstein, Ziegelstein versengte seinen verbrannten Rücken und seine Schultern, während er sich allein mit der Kraft seiner Arme hindurchzog. Stickige Luft schoss an ihm vorbei, angesaugt von dem Feuerofen über ihnen. Auf der anderen Seite fand er sich halb aus der Seitenwand eines langen Tunnels hängend wieder, über dem Schutt, der einst die Treppe in diesen Tunnel hinunter gewesen war. Er kam gerade noch auf die Füße, bevor er halb fallend, halb rutschend die Seitenwand des Tunnels in dreißig Zentimeter tiefes fauliges Wasser hinunterglitt. Der Gestank der Brühe war freundlicher zu seinen Lungen als der Rauch, und ihre schmutzige Kälte linderte seine Verbrennungen. Er quälte sich auf die Knie hoch und stützte sich auf den Schutt, während er versuchte, die Kraft aus seinen Knochen in Lunge und Kehle zu lenken. Allerdings nur so viel er wagte und nicht annähernd so viel, wie er brauchte, aber es reichte, um aufstehen zu können.
    Er hörte Stimmen, verzerrt durch den Tunnel und durch eine Panik, die dem Wahnsinn entgegenschwoll: Die anderen Flüchtlinge, die in der Falle saßen oder begriffen, dass sie die Türen nicht schnell genug aufbrechen konnten, um dem Feuer zu entkommen. Das Schicksal, das er, wie er jetzt begriff, stets gefürchtet hatte.
    Er bewegte sich auf die Stimmen zu und rutschte auf der schleimigen, rauen Oberfläche der überfluteten Pflastersteine aus. Die Stimmen wurden klarer, und mithilfe dieser Klarheit fand er einen weiteren früheren Eingang in der Tunnelwand. Er versuchte, sich den dahinter Gefangenen bemerkbar zu machen, aber gleichzeitig dröhnte hinter dem Eingang ein gewaltiges Brüllen, das die Schreie beinahe übertönte, und ein Schwall von Rauch und Hitze ergoss sich durch einen Spalt in der zugemauerten Tür. Von der Treppe aus warf er sich der Länge nach ins Wasser und konnte es für einen Moment kaum glauben, dass das Sonnenlicht nicht durchgedrungen war und ihn verbrannt hatte.
    Die Stimmen von der anderen Seite blieben noch kurze Zeit vernehmbar, obwohl er nicht mehr hätte sagen können, ob sie von Männern oder Frauen stammten oder auch nur von Nachtgeborenen. Noch viel länger würde er sie in seinen Albträumen hören können. Schaudernd zog Ishmael sich abermals auf die Füße und setzte seinen Weg fort.

 
    5
    Telmaine
    Das Weinen ihrer Tochter, ihrer Flori, weckte Telmaine ebenso wie ein leichtes Gefühl des Grauens. Sie hatte Rauch in der Kehle und das Tosen von Feuer in ihren Träumen. Mit hämmerndem Herzen richtete sie sich im Bett neben ihrem schlafenden Ehemann auf und erforschte den Raum mit ihrem Sonar. »Flori …« Olivede regte sich in ihrem Sessel neben dem Bett. Amerdale schlief dicht an Balthasar gekuschelt, den zu verlassen sie sich geweigert hatte.
    »Irgendetwas geschieht«, flüsterte Telmaine. »Etwas Schlimmes.«
    »Ich weiß«, murmelte Olivede. »Ich spüre es ebenfalls.« Das geteilte Wissen schimmerte zwischen ihnen, dann erwachte Olivede vollends, und Telmaine erinnerte sich daran, wo sie war und mit wem sie sprach. »Ich muss geträumt haben«, sagte sie, von Panik erfüllt angesichts der Tatsache, dass sie ihr Geheimnis um ein Haar preisgegeben hätte.
    Der Rauch war fort und ebenso das Tosen des Feuers. Einzig die Ahnung einer Katastrophe blieb, pulsierend wie eine Migräne. Olivede erhob sich und schüttelte ihre schlichten Röcke aus. »Du hast nicht geträumt.«
    »Aber ich … ich

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