Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
ihren Mann zur Tür hinaustrug. Sie und Amerdale folgten ihm auf dem Fuß, Telmaine behindert durch die Taschen und Amerdale, die sich an ihre Röcke klammerte, als befürchte sie, dass auch Telmaine verschwinden würde. »Wohin gehen wir?«, wollte sie wissen, doch die Frage blieb unbeantwortet.
Der heftige Regen draußen erfüllte die Luft mit feinen, beweglichen Echos. Der Geruch von Rauch war bitter auf der Zunge und in der Kehle. Ishmael warf einen einzigen intensiven Peilstrahl auf den Gehsteig links und rechts von ihnen und erstarrte. Olivede, die mit dem Rücken zur Tür stand, hielt einen der Revolver so, dass er nicht nass wurde. Telmaine hörte das Geräusch ferner Kutschen in den regenüberfluteten Straßen, eine zuschlagende Tür, Schritte, die in der Ferne verklangen, das Lied eines der späten Vögel. Ishmael sagte: »Ich denke, die Luft ist rein. Rufen Sie uns eine Kutsche.« Er folgte Olivede die Treppe hinunter, taumelte ein wenig und sagte mit angespannter Stimme zu Balthasar: »Meine Benzinkutsche würde Ihnen gefallen, Hearne, zumindest sagt Ihre Kleine das. Ein Jammer, dass man darin etwas rau fährt und sie so auffällig ist.«
Olivede, die die Pfeife zur Hand genommen hatte, blies hinein; die Kutsche kam schnell, erpicht auf die ersten Fahrgäste der Nacht. Mit beträchtlicher Mühe hob Ishmael Balthasar in das Gefährt, dann bückte er sich, hielt sich am unteren Rand der Tür fest und begann abermals zu husten. Verstohlen streckte Olivede die Hand aus, um ihn zu besänftigen, was ihr ein dankbares Nicken eintrug. Er hievte ihr Gepäck hoch, wobei er zusammenzuckte, als er seinen Arm benutzte, dann half er Telmaine und Amerdale beim Einsteigen. Olivede überließ er sich selbst, wie es ihrer Verkleidung zukam; sie schwang sich mit einigem Geschick in den Wagen. Ishmael pfiff, ein klarer Ruf, der beinahe vogelähnlich klang, dann winkte er, und ein junger Mann erschien unter der Treppe eines Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite und kam schnell herbeigelaufen – einer ihrer verborgenen Wächter. Ishmael gab ihm kurze Anweisungen, bevor er selbst in die Kutsche kletterte. Der junge Mann setzte sich im Laufschritt zum Droschkenstand in Bewegung, und Ishmael zog den Wagenschlag zu, beugte sich aus dem Fenster, um das Fahrgeld zu überreichen und dem Kutscher die Anweisung zuzuknurren, er solle sie zum Bahnhof bringen. Dann ließ er sich auf seinen Sitz fallen und zuckte zusammen, als die Kutsche sich in Bewegung setzte.
»Wohin fahren wir?«, wiederholte Telmaine. »Balthasar ist zu schwach für eine lange Reise, und wir werden die Stadt nicht verlassen, bevor Flori gefunden ist.«
»Der Bahnhof ist eine Finte. Man erwartet uns«, sagte Ishmael und hielt sich am Fenster fest.
Sie erreichten den Bahnhof, und dort überreichte Ishmael weiteres Fahrgeld und erteilte neuerliche Anweisungen bezüglich ihres Ziels. Zwei weitere solcher Etappen folgten, bevor zwei private Kutschen mit jeweils zwei stämmigen Kutschern sie in einer Nebenstraße erwarteten. Telmaine, Balthasar und Amerdale wurden in die erste Kutsche verfrachtet, Ishmael und Olivede in die zweite. Telmaine kämpfte gegen das ungehörige Verlangen, Ishmael anzuflehen, bei ihnen zu bleiben. Sie fuhren weiter, und sie stützte Balthasar, damit das Schaukeln der Kutsche ihn nicht allzu sehr quälte. Amerdale lehnte sich an ihn, wobei sie sich an den ausgestopften Bären klammerte und an ihrer Faust saugte. Telmaine brachte es nicht übers Herz, das Mädchen wegen dieses Rückfalls in kleinkindliche Gewohnheiten zu tadeln.
»Wie«, begann Balthasar, »hast du Baron Strumheller kennengelernt? Sollte ich Anstoß nehmen?«
Sie wünschte sich so sehr, sie wäre eine gewöhnliche Ehefrau gewesen, die den Schmerz, die Trauer und die Sorge nur ahnen konnte, all die Gefühle, von denen er sie beide abzulenken versuchte. Sie strich ihm über die Stirn und gab ihm von sich selbst, so viel sie konnte. »Erst vor wenigen Tagen im erzherzoglichen Sommerhaus. Er hat sich erboten, mich hierherzubegleiten. Ich bin froh, dass ich es ihm erlaubt habe: Er hat dir das Leben gerettet. Ich hoffe, er hat keine Zuneigung zu mir gefasst; das wäre sehr peinlich.« Was ein wahrlich schwacher Ausdruck ihres eigenen Aufruhrs war.
Balthasar lachte schwach. »Mein liebstes Herz, es scheint mir das Natürlichste auf der Welt zu sein, wenn ein Mann eine Zuneigung zu dir fasst. Ich bin stetig erstaunt darüber, dass dir nicht Bewunderer in vernarrten
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