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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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finden.«
    »Ich verstehe nicht«, flüsterte Balthasar mit einer Hilflosigkeit, die Telmaine das Herz zerriss. Trotz all der Jahre, die er in der Halbwelt gearbeitet hatte, trotz all seines Umgangs mit den Verstörten und Beladenen war ihm niemals diese Reinheit des Geistes abhanden gekommen, die sie bei ihrer ersten Begegnung so sehr fasziniert hatte. Sie, die wohlbehütete Frau mit den Anlagen einer Magierin, war diejenige, die Grausamkeit, Bosheit, Hass und Lust verstand.
    Unten erklang die Türglocke. Olivede stand auf und holte zwischen den Kissen ihres Sessels einen der schweren Revolver des Barons hervor. Telmaine schüttelte Amerdale ab und ermahnte sie: »Bleib bei Papa, aber sei sanft mit ihm!« Olivede ließ sie die Treppe hinunter vorangehen und blieb hinter ihr, als sie zur Tür eilte, den Revolver fest in der Hand. Durch die Tür fragte sie, wer da sei, bekam aber keine Antwort. Olivede nickte ihr zu, und Telmaine öffnete.
    Schwankend stand Ishmael di Studier auf der Schwelle, durchweicht und nach Rauch und verbranntem Fleisch stinkend, sein Hemd in Fetzen und verbrannt. Sein Ultraschallruf explodierte ihr entgegen, doch so schrecklich sein Aussehen auch sein mochte, so dankbar war sie, ihn zu peilen. Ihre erste Reaktion bestand darin, seine Arme zu umklammern und ihn hereinzuziehen – worauf er einen heiseren Aufschrei ertönen ließ und ein gewaltiges, lungenzerreißendes Husten ausstieß, das ihn auf der Türschwelle auf die Knie zwang. Sie hockte sich neben ihn und riss die Hand von dem rohen Fleisch seiner Schulter zurück. Er umklammerte ihre Röcke und wandte ihr das Gesicht zu wie ein Kind, das sich an seine Amme klammerte.
    »Muttertränen«, murmelte Olivede und ließ sich neben Telmaine gleiten. Sie schob eine Hand in sein Hemd, und Telmaine spürte die Leichtigkeit naher Magie. Nach kurzer Zeit hörte Ishmael auf zu husten, und das schauerliche Keuchen seines Atems verebbte.
    Mit rauer Stimme sagte er: »Die Flussmark hat gebrannt. Die Toten – so viele Tote.«
    Olivede sagte sehr beherrscht: »Schaffen wir ihn hinein.«
    Telmaine peilte die andere Frau nicht, so gern sie es auch getan hätte, um zu wissen, welche Art von Ausdruck, welche Art von Gesicht und Gehabe mit solcher Zurückhaltung einherging.
    Selbst mit ihrer Hilfe führte die Anstrengung des Aufstehens dazu, dass Ishmael wieder zu husten begann. Olivede schüttelte schwach den Kopf und tat nichts anderes, als ihm in den Salon zu helfen und ihn dort aufs Sofa zu drücken. Vorsichtig inspizierte sie mit ihren Fingern und sanftem Ultraschall Nase und Hals und drückte ihm ihr Stethoskop auf die Brust. »Baron Strumheller, haben Sie lediglich Rauch eingeatmet oder auch heiße Luft?«
    »Der Rauch war schrecklich«, sagte er. »Alles war schrecklich.« Er zitterte.
    Telmaine erklärte mit leiser Stimme: »Ich werde eine Decke holen«, und war trotz ihres schlechten Gewissens froh, ihre Handschuhe zu haben.
    »Bring auch meine Tasche mit«, befahl Olivede.
    Als sie den Raum betrat, gelang es Balthasar, sich auf einen Ellbogen zu stemmen. Amerdale schob ihm eins der dicken Kissen in den Rücken. »Telmaine«, sagte er, wobei er nicht ihre Identität, sondern ihre Anwesenheit hinterfragte.
    »Baron Strumheller«, antwortete sie. »Er ist zurück.« Ihre Stimme zitterte, aber gewiss musste Balthasar dies nicht als tiefe Erleichterung um des Mannes willen werten, sondern auf die angespannte Situation zurückführen – und dann dachte sie wütend, dass er, guter Mensch, der er war, es gewiss als Erleichterung um des Mannes willen interpretieren würde.
    »Flori«, sagte Balthasar.
    Ihr war plötzlich verzweifelt übel. So viele Tote, hatte der Baron gesagt, und die Flussmark hatte gebrannt … und Flori hatte in ihren Träumen inmitten des Rauches geweint. Wenn sie in der Flussmark gefangen gehalten worden war … Sie kämpfte die aufkeimende Hysterie nieder. »Er hat sie nicht mitgebracht«, platzte Telmaine heraus und – ihr Herz sei ihr gnädig – floh vor ihrem Mann, damit er nicht weitersprechen konnte.
    Ishmael redete noch immer in heiseren, halb geflüsterten Sätzen von seiner Flucht aus dem Inferno, wie ein Mann, der einen Albtraum erzählte. Telmaine stand da, ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder, während Olivede seine Brandwunden versorgte und sein gehetzter Bericht immer wieder von Phasen des Schmerzes unterbrochen wurde. Sie lauschte auf einen Hinweis, dass irgendwo in diesen Ruinen ein kleines

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