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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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auch nur Fragen zu stellen. Sein Verstand drehte sich im Kreis wie ein tollwütiger Hund, der vor Durst verrückt war.
    Der Superintendent beendete die förmliche Verlesung der Anklagen, eine Zeremonie, die Ishmael schon mehrere Male ertragen hatte, wenn auch niemals in solch vornehmer Umgebung oder Gesellschaft. Doch Schauplatz und Ernsthaftigkeit waren keine so große Entschädigung, wie er gedacht hätte.
    Seine Wachen fesselten ihm mit großer Effizienz die Handgelenke, ließen jedoch seine Knöchel frei. Er war ziemlich außer Übung darin, als Magier verhaftet zu werden, da er nicht wusste, ob dies die gegenwärtige Methode darstellte, die Macht eines Magiers zu bezähmen. Er hoffte, dass es so war. Schließlich verspürte er kein Verlangen, bewusstlos geschlagen zu werden oder ein Gebräu einnehmen zu müssen, das seine Fähigkeiten dämpfen sollte und ihn gleichzeitig so weit betäuben würde, dass er sich so hilflos wie ein Säugling fühlte. Flankiert von vier Wachen und angeführt von dem Superintendenten schob man ihn durch den Korridor. Bei Imogenes Titten, er war dankbar dafür, dass keiner der Hearnes, insbesondere Telmaine, ihre Türen geöffnet hatten, obwohl der Tumult gewiss zu hören gewesen war. Er konnte beinahe die Intensität von Telmaines lauschender Aufmerksamkeit spüren. Aber nur beinahe – und das entsprang gewiss einzig seiner Einbildung. Sie wusste nicht, wie sie mit ihren Kräften zu seinem Geist durchdringen konnte.
    Das konnte er ändern. Er hatte bereits mit ihr gearbeitet und ihr gezeigt, wie sie ihre Macht leiten musste. In den wenigen Sekunden, die er einen solchen Kontakt vielleicht würde aufrechterhalten können, konnte er versuchen, ihr die Essenz seines magischen Verständnisses zu übermitteln, in der Hoffnung, dass sie es organisieren und benutzen konnte. Die Berührung ihres Geistes über eine gewisse Entfernung hinweg würde ihn ungeheuer schwächen, so viel stand fest, und sie würde jede Chance auf eine Flucht auf dem Weg zum Gefängnis zunichte machen – falls es eine solche Chance für ihn noch gab, gefesselt und unter Bewachung. Und wenn er sich schon durch den Versuch des Gedankenkontakts verkrüppelte, sollte er auch Magistra Hearne oder sogar Phoebe Broome eine Warnung zukommen lassen. Kurzum, er benahm sich einmal mehr wie ein sentimentaler Narr. Aber keine der anderen Frauen, beide bekannte Magierinnen, würde in der Lage sein, Vladimer zu erreichen. Keine von ihnen empfand Vladimer gegenüber die Loyalität, die er für den Mann verspürte und die auch Telmaine als Mitglied von Vladimers eigener Klasse und Familie aufbringen würde. Und Vladimer brauchte die Hilfe eines loyalen Magiers, falls es sich in seinem Fall wirklich um Hexerei handelte. Telmaine besaß die Macht zu helfen und sollte die Bereitschaft dazu haben; was ihr fehlte, war das Wissen. Jeder Schritt entfernte sie weiter voneinander, was kein echtes Hindernis sein mochte, auch wenn es sich so anfühlte. Er holte tief Luft, blieb oben an der Treppe stehen, als ringe er um sein Gleichgewicht, griff in das Mark seiner Lebenskraft und riss mehr davon heraus, als er je seiner Magie gegeben hatte. Er warf Lebensenergie, Willenskraft, Magie, Intuition in den stärksten Gedankenruf, den er heraufbeschwören konnte: ›Gehen Sie zu Vladimer! Sie müssen ihm helfen!‹
    Es war alles, was er geben konnte. Sein Kopf fühlte sich an, als sei er dem Sonnenlicht ausgesetzt worden. Er glitt einer Ohnmacht entgegen. Vage nahm er die Stimmen um sich herum wahr, die sich von Schroffheit zu Bestürzung wandelten, als er knochenlos zu Boden sank. Dann verlor er barmherzigerweise das Bewusstsein.
    Telmaine
    Eine Hand an die Tür gepresst, eine Faust auf die Lippen, versuchte Telmaine, etwas durch die schweren Türen zu hören. Sie brachten ihn fort. Sie konnte es vernehmen, konnte ihn beinahe auf der anderen Seite der Tür spüren, diesen sanft wie Ofenasche glühenden Geist, diese raue Klugheit, auf die sie sich in letzter Zeit so sehr verlassen und die begonnen hatte, sie in Versuchung zu führen, allen Anstand, alle Loyalität und alle Gelübde zu vergessen.
    ›Gehen Sie zu Vladimer! Sie müssen ihm helfen!‹
    Und nach der Stimme, die wie ein Ruf aus weiter Ferne klang, nahm sie nur noch jähen, sengenden Schmerz wahr, gefolgt von plötzlicher, qualvoller Leere. Mit beiden Händen umfasste sie den Türgriff; sie hatte die Tür geöffnet und war im Flur, bevor Merivans erschrockenes »Telmaine!« sie erreichte.

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