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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Oben an der Treppe kümmerte sich eine Traube von Männern um den zu Boden sinkenden Ishmael, dessen Gewicht sie alle die Treppe hinunterzureißen drohte. Er lag rücklings in ihren Armen, seine gefesselten Hände hinter sich, sein entblößtes Gesicht erschreckend verausgabt und schlaff, bis auf die Stellen, an denen die Narben an der Haut zogen.
    »Was geht hier vor?«, fragte sie, und die Furcht verlieh ihrer Stimme einen herrischen Klang.
    Männer wandten sich ihr zu, die dabei ertappt wurden, wie sie männliche Gerechtigkeit übten, und denen es peinlich war, dabei beobachtet zu werden. Gerechtigkeit wurde wie alle anderen weltlichen Angelegenheiten von Männern außer Sichtweite von Frauen praktiziert, damit das Wissen darum ihre Keuschheit nicht berührte.
    »Was denken Sie sich dabei, einen der Gäste des Erzherzogs derart zu misshandeln!«, sagte sie mit durchdringender Stimme.
    »Dieser Mann ist kein Gast des Hauses«, entgegnete Casamir Blondell.
    Sie ignorierte diesen Bauern und richtete ihren Sonar auf den hochgewachsenen, älteren Mann mit der vorspringenden Nase der erzherzoglichen Linie, den sie vage als den Superintendenten der öffentlichen Agenten kannte. »Verraten Sie mir bitte, was das zu bedeuten hat.«
    Ishmael stöhnte, als die Wachen seinen unhandlichen Leib auf die Stufen betteten. Das jämmerliche Geräusch ließ sie innerlich vor Erleichterung aufatmen, weil es ein Hinweis auf Leben war. Sie stemmte sich gegen den Türrahmen; sie wollte nicht als schwach und begriffsstutzig abgetan werden.
    »Prinzessin Telmaine«, sagte der Superintendent, »verzeihen Sie bitte, dass wir Sie und den Frieden des Haushalts gestört haben.«
    »Mich gestört! Er ist es, den sie bewusstlos geschlagen haben.«
    »Das war nicht unser Werk. Es war ein plötzlicher Zusammenbruch«, erwiderte er und gestikulierte mit einer Hand. Gehorsam hoben seine Männer Ishmaels erschlaffte Gestalt hoch und schleppten ihn die Treppe hinunter. »Wir werden ihn im Gefängnis von einem Arzt versorgen lassen.«
    »Wie kann das nicht Ihr Werk sein? Ich habe ihn aufschreien hören.«
    »Ich entschuldige mich noch einmal dafür, dass Sie gestört wurden«, sagte der Superintendent. Seine Stimme klang höflich und ein wenig kühl. »Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht.«
    »Warten Sie!«, sagte sie. »Warum verhaften Sie Baron Strumheller? Ich verlange es zu erfahren. Er ist ein Freund meiner Familie.«
    Sie erwartete, dass er an den Anstand appellieren würde, an Anklagen, die für die zarten Ohren einer Dame nicht taugten. Er überraschte sie, indem er antwortete: »Er wird des Mordes und der Hexerei angeklagt, Prinzessin Telmaine.«
    Bei dem Wort Hexerei, das er ihr laut ins Gesicht sagte, verließ sie der Mut. Sie schlang die Arme um sich, während sie lauschte, wie die Männer Ishmael zum nächsten Flur trugen. Die harten Schritte auf den Fliesen des Vestibüls wurden leiser, und sie brauchten etwas länger, um den Ausgang zu passieren. Telmaine hörte noch einen Wortwechsel im unteren Stockwerk, bevor die schwere Tür geschlossen wurde.
    »Telmaine«, sagte Merivan, »hast du vollkommen den Verstand verloren? Was denkst du dir, ein solches Spektakel zu veranstalten, noch dazu zur Verteidigung eines angeklagten Hexers?«
    Telmaine fand ihre Stimme wieder. »Dies ist eine bösartige und grundlose Anklage. Du hast ihn sagen hören, dass wir Vladimer helfen müssen! Das sind nicht die Worte eines Menschen, der ihm Böses will.«
    »Ich habe nichts dergleichen gehört«, widersprach Merivan scharf. »Das musst du dir eingebildet haben.«
    »Ich bilde mir nichts ein. Ich habe deutlich …« Und als sie die Berührung von Olivede Hearnes Sonar spürte, hielt sie inne, getrieben von dem Instinkt, der es ihr ermöglicht hatte, ihr Geheimnis so lange zu hüten. »Ich dachte, er habe etwas gesagt«, erklärte sie erschüttert. »Ich muss es mir tatsächlich eingebildet haben.« Sie erinnerte sich an das seltsame Gefühl von Entfernung in diesen Worten, obwohl nur eine Tür sie getrennt hatte, und die Überzeugung, vorher und nachher, dass sie ihn gespürt habe. Hatte er eine Möglichkeit gefunden, zu ihr zu sprechen, ohne Worte oder Berührung? Konnten Magier das tun? Konnte er es? Würde er ihr das antun, obwohl er um ihre Gefühle wusste? Hatte er ihr befohlen zu handeln? Sie schauderte.
    »Telmaine«, hörte sie Merivan erklären, »du bist nicht ganz bei dir.«
    Noch während sie sich ins Gästezimmer zurückführen ließ, griff

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