Nachtgesang

und sahen dort das Licht des Tores zu den Höllenlanden, verfluchten es bei ihren Sternen und wandten sich ab. Und alle Szgany kehrten der Sternseite mitsamt ihrem Tor den Rücken.
    Aber wer hatte schon Interesse, die Sternseite zu erkunden? Was war die Sternseite schon außer einer dürren, endlosen Ebene aneinandergereihter Felsen im Norden und hochragender, steinerner Berggipfel – Steinhaufen oder ›Felstürme‹, wie Trask sie nennt –, die Hunderte von Metern in den Himmel reichten? Im Norden grenzte das Land an gefrorene Ozeane und jenseits davon befanden sich die Eislande mit ihren gespenstischen Polarlichtern. Keine besonders gute Wohnstätte für Menschen, mein Freund, dort, wo die Sonne nur ganz oben auf die Bergspitzen scheint und die Kälte so schneidend ist wie eine Messerklinge. Ich war einmal am Fuß einer Vampirfeste ... bis dorthin, aber nicht weiter. Und jetzt, dank Harry und seinen Söhnen, gibt es diese hoch gelegenen Stätten nicht mehr ...
    Aber es scheint, als hätte ich vorausgegriffen. Ich muss noch einmal anders anfangen. Ich sprach von der Vergangenheit und die war so:
    Es kamen Vampire. Frag mich nicht wie, ich hab nicht die geringste Ahnung. Heute weiß das keiner mehr, jedenfalls keiner, der lebt. Wir wissen, dass ihre Sporen in den Sumpfgebieten ganz im Westen des Grenzgebirges entstanden, und Nathan Keogh hat von ähnlichen Sümpfen im Osten erzählt. Nun gut, da kamen sie her, aber wie kamen sie? Ben Trask hat eine Theorie – seine Leute, die Leute vom E-Dezernat, haben für die meisten Dinge Theorien aufgestellt – und danach kamen sie in den Himmel meiner Welt mit den Gesteinsbrocken der weißen Sonne: eine außerirdische Lebensform aus dem All. Vielleicht stimmt das so, aber ich bin kein Wissenschaftler.
    Wie dem auch sei, und wie auch immer es war, sie kamen. Der Legende nach war Shaitan der erste. Weil er die Sonne nicht ertragen konnte, wohnte er mit dem Stamm der Trogs in den düsteren Höhlen der Sternseite. Er war den Menschen ähnlich und grübelte über die Szgany nach, von denen die Trogs ihm erzählt hatten. Irgendwann hatte er genug von der Gesellschaft und dem Blut der Trogs und gelangte eines Nachts auf die Sonnseite. Und der Fluch des Vampirs – Shaitans Mal, sein Unsegen – legte sich für alle Zeit auf die Stämme der Szgany.
    Es ist etwas von Shaitan in allen von uns und schätzungsweise auch in euch Menschen, besonders in den ESPern, aber zum Glück nur ein ganz klein wenig. Durch die Zeit, die verging, und das Blut, das sich vermischt hat, sehen wir die Verbindung nur noch bei den wenigen Talenten, die Ben Trask um sich schart und gegen böse Mächte einsetzt. Er hat die Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, und deckt dadurch Lügen auf; Goodly kann mit seinen Visionen in die Zukunft sehen und ich habe das Blut der Seher in mir, das mich vor Gefahren warnt, die in der Luft liegen, in fließendem Wasser lauern oder in lodernden Flammen und Spuren im Sand. Wenn etwas nicht stimmt, dann fühle ich es. Und bei dir ...
    ... bei dir ist es etwas anderes ...
    Aber ich schweife schon wieder ab.
    Auf der Sonnseite suchte sich Shaitan Knechte zusammen. Aber die Sonne war für ihn und die Seinen zu stark; sie zogen sich wieder auf die Sternseite zurück. Und dort baute er die erste Wamphyri-Feste, hoch oben auf den Felsspitzen.
    Und der Große Vampir zeugte andere Vampire mit Frauen von der Sonnseite und sogar mit Trog-Frauen. Er unternahm Raubzüge, um seinen Durst zu stillen und Beute zu holen. Während die Wamphyri sich munter vermehrten, litten die Szgany schreckliche, unvorstellbare Qualen.
    Zum Glück waren die Szgany seit Langem, und lange vor der Ankunft der Wamphyri schon, Nomaden. Da Land ihr einziger Besitz war, mussten sie immer wieder neues Territorium erkämpfen, es verteidigen und zu ihrem Eigentum machen. Deshalb kamen sie kaum je zur Ruhe. Das war wohl auch gut so, denn das stete Umherziehen sicherte ihr Überleben. Sie konnten weglaufen und sich vermehren und sie konnten sich verstecken, aber mehr nicht. Und nachts schwärmten die Vampire von der Sternseite aus, um zu jagen und sich in den dunklen Wäldern der Sonnseite zu ›vergnügen‹. Alles, was die Szgany heute ausmacht, ist eine Entwicklung, die sich aufgrund der unglaublichen, verachtenswerten Plünderungen der Wamphyri ergab.
    Die Szgany lernten, sich zu verstecken, nicht nur ihre zitternden Körper, sondern sogar ihre Gedanken. Nun, letztendlich lernten sie sogar zurückzuschlagen! Aber