Nachtgespenster
schaukelte über die unebene Strecke. Doreen hatte ihn im Gelände geparkt. Sie fuhr dann mit ausgeschalteten Scheinwerfern nach rechts, um den schmalen Feldweg zu erreichen, der von Unkraut und hohen Gräsern überwuchert war. Die Reifen des Autos zeichneten eine Spur hinein. Nach einer Weile schaltete Doreen die Scheinwerfer ein.
Das Licht war ebenfalls bleich. Es versuchte, mit dem des Mondes zu konkurrieren, erreichte aber längst nicht dessen Glanz und auch nicht dessen Kraft.
Noch immer kämpften in Doreen La Monte zwei Seelen. Einerseits war der Drang nach menschlichem Blut gewaltig. Andererseits fühlte sie mehr als Mensch.
Sie schrie ihre Not hinaus.
Doreen trommelte während des Fahrens mit den Fäusten gegen das Lenkrad. Ihre Augen brannten.
Wann hatte das Leiden ein Ende? Wann endlich konnte sie wieder normal oder erlöst werden?
Der Weg war verschwunden. Einfach hineingetaucht in den Hang, der sanft anstieg und erst an den Mauern von La Monte endete.
Ein düsteres Schloß. Keine Ruine, doch sehr dicht vor dem Verfall stehend. Ein Ort, der schon als menschenfeindlich galt. Niemand konnte sich dort wohlfühlen, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie dem Earl of La Monte. Als Doreen an diesen Namen dachte, erschauderte sie. Er war ihr Vater, und noch immer begriff sie es nicht richtig.
Ein Vampir als Vater. Er hatte sich mit einer Frau zusammengetan und es tatsächlich geschafft, ein Kind zu zeugen.
Immer hatte sie Angst vor ihrem Vater gehabt. Es war eine düstere Gestalt. Nicht unbedingt vom Aussehen her, ihn umgab nur dieses unheimlich und eben düstere Flair, das bei sensiblen Menschen leicht ein Gefühl der Angst hinterlassen konnte.
Sie fuhr.
Der Wagen schlingerte.
Trotzdem fuhr sie weiter. Gab immer wieder Gas. Biß die Zähne zusammen. Das Licht wanderte als bleicher Schein über die Gräser und das hohe Unkraut hinweg, erreichte aber noch nicht die dunklen Mauern, die Doreen trotzdem erkannte, weil das Licht des Mondes sich in dem Gemäuer verfing.
Blaßgelb fiel es auf das graue Gemäuer und reicherte es mit einem grünlichen Schein an, so daß es wirkte wie eine spukhaft ausgeleuchtete Filmkulisse.
Es gab kein Licht. Kein normales. Wer in den Mauern sehen und etwas erkennen wollte, der mußte sich mit dem Schein der Kerzen begnügen. Ansonsten herrschte die Dunkelheit.
Sie hatte Schwierigkeiten mit dem letzten Stück Weg. Es war ziemlich steil. Die Reifen griffen nicht richtig und drehten manchmal durch.
»Komm schon, komm schon!« flüsterte Doreen. Sie kannte die Schwierigkeiten, weil sie diesen Weg nicht zum erstenmal fuhr. Sie schaffte es auch in dieser Nacht, allen Widrigkeiten zum Trotz. Schließlich hatte sie den Hang überwunden. Der Morris rollte auf dem normalen Niveau weiter. Flach, ohne Schwierigkeiten. Eine breite Zufahrt, die früher einmal vor einem Tor geendet hatte.
Das gab es nicht mehr.
Es war eine Öffnung da.
Ein gieriges Maul, ein Schlund, der weit offen stand. In ihn strahlten die Lichter hinein. Sie glitten über den Innenhof, dessen Pflaster aufgerissen war. Dazwischen hatte sich die Natur ausbreiten können. So war der Boden von einer grünen Fläche bedeckt worden.
Doreen La Monte parkte den Wagen im Schatten der Innenhofmauer und stieg aus. Die starken und hohen Mauern hielten den Wind ab. Im Hof selbst war es kühl. Sehr klamm. Es hing auch ein bestimmter Geruch über dem Boden. Nasse Erde. Feuchte Tücher, da kam einiges zusammen. Sie merkte seine Anwesenheit.
Da war Doreen bereits einige Schritte auf die von zwei Seiten an eine Tür heranführende Treppe gegangen. Jetzt stoppte sie. Er war da, er war wach. Er hatte seine Räume im Keller verlassen und geisterte durch die anderen Zimmer.
Ihr Vater!
Einer der nicht aus seinem Gewölbe herauskommen konnte. Ein Gefangener in seiner ureigensten Welt, wie hinter Schloß und Riegel sitzend.
Für die andere Welt hatte er seine Tochter. Sie war zugleich die Dienerin und hatte zu tun, was er verlangte. Sie sollte ihm die Opfer bringen, damit er sich an deren Blut laben konnte.
Aber sie wollte nicht. Sie konnte auch nicht. Die beiden Seelen kämpften einfach zu stark in ihrer Brust. Doreen war völlig durcheinander.
Je mehr Zeit verstrich, um so schlimmer wurde es bei ihr. Das innerliche Flattern ließ nie nach. Sie war so schrecklich aufgeregt, auch wenn sie äußerlich ruhig wirkte.
Mit gemächlichen Bewegungen ging sie die Stufen an der linken Treppenseite hoch. Vor der alten Tür blieb sie stehen.
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