Nachtgespenster
und nahm an Blässe zu. Seine Kraft schwand, weil sich irgendwo fern im Osten und noch nicht sichtbar, der neue Tag ankündigte.
Das Gros der Menschen spürte davon nichts. Es sei denn, jemand wäre so sensibel gewesen wie Doreen.
Sie merkte, daß ihre andere Phase allmählich vorbeiging. Das Vampirsein schwächte sich. Es war ihr nicht neu, es passierte praktisch in jeder Nacht, wenn der volle Mond am Himmel stand. Dann tobten die Schmerzen durch ihren Kopf. Dann wurde ihr schwindlig, und sie litt unter dem mächtigen Druck im Oberkiefer, der entstand, wenn sich die Vampirzähne zurückzogen.
Doreen stöhnte. Sie durchlebte und durchlitt die zahlreichen Verkrampfungen. Ohne es zu wollen, wuchtete sie ihren Körper auf dem Bett hin und her. Schweiß brach aus ihren Poren. Wäre das Fenster zerstört gewesen, hätte man ihre Schreie in der finsteren Nacht gehört.
So aber blieben sie im Raum. Sie waren die üblichen Begleiter ihres frühmorgendlichen Leidens. Doreen wußte auch, daß es ihrem verfluchten Vater nicht besser ging. Das allerdings faßte sie in ihrer Lage nicht als Trost auf.
Jeder Schrecken geht einmal vorbei. Auch Doreen erholte sich wieder. Die Schmerzen ließen nach. Sie fühlte sich nicht mehr so fremd bestimmt. Alles war wieder in Ordnung. Sie konnte sich normal bewegen, und sie öffnete den Mund, um mit einem Finger über die obere Zahnreihe zu fahren.
Keine Spitzen mehr. Die Zähne wuchsen wieder normal. Doreen hatte sich zurückverwandelt. Ihr Dasein als Vampir gehörte der Vergangenheit an - bis zur nächsten Nacht.
Daran konnte sie nicht denken. Der Vorgang hatte Doreen einfach zu sehr geschwächt.
Während der volle Mond seine starke Kraft verlor und immer mehr verblaßte, fiel Doreen in einen tiefen, erschöpfungsähnlichen Schlaf.
Im Gegensatz zu ihrem Vater!
Er hockte in seinem Verlies und heulte wie ein eingesperrter Wolf. Das aber hörte Doreen nicht…
***
Strahlender Sonnenschein.
Damit begrüßte mich schon sehr früh der neue Tag, auch wenn über den Wiesen noch Nebelschwaden wallten, die allerdings bald verschwinden würden.
Mich hielt nichts mehr in meinem Bett. Ich war mit dem Gefühl erwacht, daß dieser Tag durchaus eine Entscheidung bringen würde. Man hat es, oder man hat es nicht. Ich für meinen Fall hatte es an diesem Morgen.
Im Bad machte ich mich frisch, zog frische Kleidung an und nahm bereits den Duft des Kaffees wahr, der von unten her in meine Etage drang. Das wiederum weckte bei mir Hungergefühle.
Obwohl ich in der vergangenen Nacht nicht besonders lange geschlafen hatte, fühlte ich mich okay. Natürlich war die Erinnerung an die Ereignisse nicht aus meinem Kopf verschwunden. Ich sah die Szenen ständig vor meinen Augen.
Weit öffnete ich das Fenster und lehnte mich hinaus. Die herrliche und klare Luft war eine reine Wohltat. Ich konnte weit schauen. Ich drehte dann den Kopf nach rechts, um einen Blick auf die alte Burg erhaschen zu können.
Ja, sie war zu sehen. Nicht in ihrer vollen Breite und Höhe. Da war mein Blickwinkel einfach zu schlecht.
Sie kam mir dunkel vor. Hohe, sehr düstere Mauern, die aus Schatten zusammengesetzt zu sein schienen. Über ihnen stand das helle Licht in einem blauen Himmel. Es vertrieb trotzdem nicht die Düsternis des Gemäuers.
Ich würde dorthin müssen. Und ich wollte den Weg nicht allein gehen. Für mich war es am wichtigsten, die Frau zu finden, die mich gebeten hatte, sie zu töten.
Ein Unding im Prinzip. Kaum zu begreifen. Doch geträumt hatte ich nicht.
Nach dem leisen Klopfen an der Tür drehte ich mich herum. Janine Helder betrat mein Zimmer, murmelte eine Entschuldigung und meinte dann: »Ich wollte dir nur sagen, John, daß der Kaffee fertig ist. Du kannst kommen.«
»Danke.«
»Hast du noch gut geschlafen?«
»Wider Erwarten.«
Sie lächelte. »Es beweist, daß deine Nerven intakt sind. So muß es auch sein.«
»Wie war es bei dir?«
»Es geht so.«
»Dann hast du nicht mehr nach Doreen Ausschau gehalten - oder?«
»Nein, habe ich nicht. Oder nur kurz. Einmal bin ich noch vor die Tür gegangen, aber ich habe nichts gesehen.«
»Sie wird sich auf das Schloß zurückgezogen haben.«
»Mag sein.« Janine reckte mir ihr Kinn entgegen. »Komm jetzt, bitte, sonst wird der Kaffee kalt.«
»Natürlich, gern.«
Der Tisch war in der Küche gedeckt. Es roch wie früher bei meiner Mutter zum Frühstück. Als ich daran dachte, krampfte sich bei mir für einen Moment der Magen zusammen, und ich bekam
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