Nachtgieger
schöner Tag heute.“
Als sie kurz darauf vor dem grünen Bauwagen auf den Treppenstufen in der Sonne saßen, begann Ferdinand zu kläffen. Walter Burkhard blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in die der Hund anschlug. Er entdeckte einen Mann, der sich gemessenen Schrittes näherte.
„Ach du bist es, Ewald, grüß Gott, drehst du eine Runde durch dein Revier?“
„Hallo Walter, ich habe im Wald eine verwüstete Fichtenschonung entdeckt. Eine Wildschweinrotte muss in einer der letzten Nächte dort eingefallen sein, hat den Waldboden auf der Suche nach Mäusen und Engerlingen aufgewühlt und dabei die jungen Bäume beschädigt. Könnt ihr Jäger dieser Plage nicht Einhalt gebieten?“
Walter zuckte mit den Achseln: „Diese Tiere sind verdammt schlau, Ewald. Erst vor zwei Tagen saß ich die halbe Nacht auf einem Hochsitz und konnte kein einziges Wildschwein entdecken. Auf dem Nachhauseweg dann kreuzte eine Rotte von ungefähr zwölf Wildschweinen den Feldweg, auf dem ich lief. Die hatten ein ganzes Feld, auf dem noch Maiskolben lagen, umgepflügt. Die Tiere werden immer dort aktiv, wo gerade kein Jäger zugegen ist.“ Er lachte. Dann wandte er sich an seine Gastgeberin: „Margit, darf ich vorstellen, das ist Ewald Hufnagel, unser Förster. Sein Revier erstreckt sich bis Mittelehrenbach.“
Margit nickte dem Mann freundlich zu und musterte ihn. Er war sehr groß, übergewichtig und trug trotz der wärmenden Septembersonne einen dunkelgrünen Lodenmantel, der wie ein Cape geschnitten war, mit silbernen Knöpfen, in die filigrane Hirschköpfe geprägt waren. Sie schätzte ihn auf etwa fünfundvierzig Jahre. Ein sorgfältig gestutzter Bart bedeckte seine Wangen, auf dem Kopf dagegen war eine beginnende Glatze zu erkennen. Kleine, wachsame Augen blickten sie an, während er genüsslich an seiner Pfeife zog.
„Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, Herr Förster?“, fragte Margit einladend.
Ewald Hufnagel lehnte höflich ab: „Ich muss zu einer Sitzung des Naherholungsvereins. Die Pflicht ruft, einen wunderschönen Tag noch!“ Winkend wandte er sich bergabwärts.
Sieglinde Salome Silberhorn rückte ihre Krawatte zurecht und strich sich das zerzauste Haar glatt. Gerd Förster würde bald eintreffen und sie wollte ordentlich aussehen. Sie wartete in einem der Besprechungszimmer im Polizeipräsidium in Bamberg und der gründliche Bericht über die Befragung der Anwohner in der Nähe des Wasserrades lag vor ihr auf dem Tisch. Unterwegs hatte sie noch beim Bäcker frische Nuss- und Nougathörnchen besorgt, nun fehlte nur noch der Kaffee. Als die beiden Kommissare den Raum betraten und sie sich begrüßt hatten, machte sich Sieglinde auf den Weg zum Kaffeeautomaten.
Gerd Förster griff nach einem duftenden Hörnchen und bat die Polizistin, die Ergebnisse ihrer Befragung zusammenzufassen. Eifrig begann Sieglinde, in ihren Papieren zu blättern: „Ich habe gestern Nachmittag und am Abend nach mehreren Versuchen alle Anwohner zu Hause angetroffen und intensiv befragt. Keiner hat etwas Auffälliges oder Ungewöhnliches bemerkt. Bis auf eine alte Dame, die eine Beobachtung gemacht hat.“ Sieglinde seufzte.
Der Kommissar beugte sich interessiert vor.
„Sie hat in der Woche vor der Entdeckung der Leiche Kati Simmerleins, wahrscheinlich am späten Donnerstagabend gegen dreiundzwanzig Uhr – die Soap Ich bin ein Star – holt mich hier raus war gerade zu Ende – den Nachtgieger im hellen Schein des Vollmondes neben dem Wasserrad dicht am Ufer lauern sehen. Rauchschwaden erhoben sich um ihn herum in die schwarze Nacht.“ Sieglinde zog die Augenbrauen hoch. „Mehrmals schlug er mit seinen Flügeln.“
Der Kommissar verschluckte sich an seinem Kaffee, dann meinte er amüsiert: „Vielleicht sollten wir unser Team ,Soko Wehrwolf‘ nennen, wegen des Vollmondes.“
Mandy blickte verständnislos von einem zum anderen. „Was bitte hat die alte Dame gesehen? Den Nachtgieger?“
Gerd Förster versuchte, es ihr zu erklären: „Der Nachtgieger ist eine fränkische Schreckensgestalt, eine Art Monster. Als Kinder wurde uns damit gedroht, dass uns der Nachtgieger holt, wenn wir nicht brav und vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sind. Er soll vor allem nachts umhergehen und Kinder holen, die er dann angeblich frisst. Keiner hat ihn je genau gesehen. Er wird als große, schwarze, angsteinflößende Gestalt beschrieben, von der extreme Gefahr ausgeht. Manche berichten, er sei auch mit
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