Nachtgieger
Flügeln ausgestattet, ähnlich einem Vampir, der seinen Opfern nachstellt.“
„Verstehe“, Mandy nickte, „dann verhaften wir doch das Monster. Spaß beiseite – machte die alte Dame einen verwirrten Eindruck?“
Sieglinde verneinte: „Sie hat auf mich ganz klar im Kopf gewirkt.“
„Was haben wir noch?“, wollte der Kommissar wissen.
„Die Spurensicherung hat einen Reifenabdruck nahe dem Wasserrad entdeckt. Er stammt von einem Geländewagen. Bei den Reifen handelt es sich um gängige Massenware, die man überall im Fachhandel kaufen kann. Die Untersuchung der Bohlen von der Baustelle in der Nähe hat allerdings zu hochinteressanten Ergebnissen geführt. Die Spurensicherung hat Abdrücke am Uferrand gefunden, in die die Bohlen exakt passen. Wenn man sie dort auf die Uferböschung legt, reichen sie bis zur Holzkonstruktion, in der das Wasserrad befestigt ist, und können dort aufgelegt werden. Sie bilden dann einen stabilen, nicht zu steilen Steg. Was hat das wohl zu bedeuten?“
„So hat der Täter die Leiche auf das Wasserrad transportiert“, überlegte Mandy aufgeregt. „Über die Abflussrinne kann er nicht balanciert sein, die ist zu glitschig und zu schmal. Die Gefahr, auszurutschen und mitsamt der Leiche in den Fluss zu stürzen, wäre viel zu groß gewesen.“
Sie sahen sich an. Gerd Förster nickte: „So muss es gewesen sein. Der oder die Täter haben das Rad gestoppt, das Opfer über den provisorischen Steg getragen, auf das Wasserrad gebunden und danach die Bohlen im Gebüsch versteckt.“
„Und sind dann mit einem Geländewagen weggefahren“, ergänzte Sieglinde.
„Ganz schön kaltblütig“, fand Mandy, „jemand hätte sie bei dieser riskanten Aktion beobachten können.“
„Leider hat sie aber niemand gesehen“, stellte die Polizistin bedauernd fest.
„Ist Karl-Heinz mit der Untersuchung von Kati Simmerlein fertig?“
Sieglinde schüttelte den Kopf. „Ihr sollt morgen früh in sein Institut kommen, dann ist er so weit.
Und ich habe recherchiert, wer hier in der Gegend für die Wasserräder zuständig ist. Es handelt sich dabei um den Wasserradverein, der ist für die Schaufelräder in Oberfranken verantwortlich. Ich habe bei dem Vorsitzenden einen Termin für euch vereinbart, morgen am späten Vormittag. Sein Name lautet Kilian Krautwurst und er war nicht sehr begeistert von meinem Anliegen.“
„Danke, Sieglinde, gute Arbeit“, lobte der Kommissar. Die Polizistin errötete und lächelte höchst erfreut. Ihr Chef war immer so höflich und aufmerksam, ganz anders als diese Mandy, die Sieglindes ständige Schufterei wohl als Selbstverständlichkeit betrachtete.
„Ach Sieglinde, eins noch, der PC von Kati Simmerlein muss so schnell wie möglich von unseren Computerspezialisten untersucht werden, vielleicht bringt uns das weiter.“
„Wird gemacht, Chef.“
Die Gastwirtschaft Goldener Hirsch füllte sich allmählich. Der Wirtsraum war gemütlich und rustikal eingerichtet. Den Blickfang bildete ein ausladender Kachelofen mit glänzenden, flaschengrünen Fliesen, an denen man sich im Winter den Rücken wärmen konnte. Der längliche Holztisch davor, um den eine Eckbank mit weichen Kissen führte, war bereits besetzt. Bauern, die in der kleinen Ortschaft lebten, tranken ihr Feierabendbier und waren in ihr Schafkopfspiel vertieft. Die Dorfwirtschaft war für ihre hervorragenden fränkischen Spezialitäten bekannt und sowohl bei den Einheimischen als auch bei Touristen sehr beliebt.
Manuela Henneberger, die Konditoreibesitzerin, war soeben mit ihrem Lebensgefährten Klausi eingetroffen. Sie ließen sich an einem runden Tisch in der Nähe der Eingangstür nieder – der beste Platz für die neugierige Manuela, um die anderen Gäste zu beobachten.
Rainer Rohlederer, der Vorsitzende des örtlichen Sportvereins, vor einigen Monaten von seiner Ehefrau wegen eines dynamischen Tennislehrers verlassen, saß allein am Tisch und starrte trübsinnig in sein Weizenbierglas. Seit seine Gattin das Weite gesucht hatte, wurde er immer häufiger von depressiven Verstimmungen heimgesucht und grübelte, was er falsch gemacht hatte. Vielleicht hätte er ihr ab und zu einen Strauß Blumen schenken oder mehr Phantasie beim Sex entwickeln sollen. Er seufzte tief.
Die resolute Manuela Henneberger, die ihr blondes Haar mit goldenen Spangen hochgesteckt trug und sich über ihre tief ausgeschnittene, lichtblaue Bluse malerisch ein bunt gewebtes Tuch geworfen hatte, beugte sich zu ihm vor. Der
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