Nachtgieger
dabei hatte sie wieder das Gefühl beschlichen, dass aus ihrem Unterbewusstsein eine wichtige Meldung versuchte, zu ihr durchzudringen.
Gerd Förster, ausgeschlafen und bereit, sich in die Ermittlungen zu stürzen, lächelte in sich hinein. Immer wenn eine Begegnung mit dem Gerichtsmediziner Karl-Heinz von Hohenfels bevorstand, legte seine Kollegin auf ihr Äußeres besonders großen Wert.
Sie fanden den Rechtsmediziner konzentriert in seinem Büro am Schreibtisch sitzend und sich Notizen machend. Er begrüßte sie munter, obwohl er die Nacht durchgearbeitet hatte. Bei der Aufklärung eines Verbrechens zählte jede Stunde. „Kommt herein, ihr lieben Kollegen, und setzt euch. Der Untersuchungsbericht ist noch nicht geschrieben, aber ich kann euch die wichtigsten Ergebnisse mitteilen. Wollt ihr Kaffee? Ich habe eben frischen, starken gekocht, eine edle Mischung aus Costa Rica übrigens.“
Unter seinem blütenweißen Medizinerkittel spitzte eine königsblaue Fliege mit dunkelroten Punkten hervor.
Er goss für die Kommissare heißen, duftenden Kaffee in Schalen, dann faltete er seine gepflegten, kräftigen Hände. „Kati Simmerlein ist erdrosselt worden, und zwar irgendwo an einem anderen Ort, nicht auf dem Wasserrad. Aber das hatten wir ja bereits vermutet. Sie war also schon tot, als sie an das Wasserrad gebunden wurde. Der Todeszeitpunkt liegt in etwa zwischen zweiundzwanzig und ein Uhr in der Nacht von Sonntag auf Montag.“
„Erdrosselt, sagst du, Carlo.“ Mandy beugte sich aufmerksam vor. „Deshalb das rote Mal um ihren Hals.“
Karl-Heinz nickte: „Die sogenannte Drosselmarke. Hierbei handelt es sich um oberflächliche Schürfungen durch das Strangwerkzeug, die postmortal trocknen und Rückschlüsse auf den Gegenstand zulassen.“
„Ist Kati Simmerlein also erstickt?“, wollte Gerd Förster wissen.
„Nein, Gerd, der Tod tritt durch die Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn mit Hilfe eines Gegenstandes ein. Es erfolgt eine Beeinträchtigung der Kopfdurchblutung. Die venösen Blutleiter des Halses werden komprimiert. Dabei kommt es zu einer massiven Kopfstauung mit entsprechenden Stauungssymptomen. Wenn das Opfer überrascht und die Schlinge mit großer Kraft zugezogen wird, tritt fast sofort Bewusstlosigkeit ein. Gegenwehr ist unmöglich.“
„Welche Art Strangwerkzeug wurde deiner Ansicht nach benutzt?“, fragte Mandy.
„Eine Schlinge aus feinem, biegsamem Draht, vielleicht eine Stahldrahtschlinge, wie sie zum Beispiel Wilderer benutzen.“
Die Kommissarin schüttelte fassungslos den Kopf.
Der Gerichtsmediziner fuhr fort: „Kati Simmerlein hatte kurz vor ihrem Tod geschützten, einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Ich konnte keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung erkennen. An ihrem Körper befanden sich keine fremden DNA-Spuren, er war makellos blank. Am rechten Fußgelenk trug sie ein Kettchen.“
Er reichte den Kommissaren einen kleinen, durchsichtigen Plastikbeutel. Sie betrachteten den Inhalt interessiert. An der feingliedrigen, silbernen Kette befanden sich in Abständen von ungefähr eineinhalb Zentimetern winzige Anhänger, die wie Silberkugeln aussahen, dazwischen waren ungleichmäßig runde, türkisfarbene Steine eingearbeitet.
„Was sollen denn diese Kugeln darstellen?“, überlegte Mandy.
Karl-Heinz erwiderte: „Ich habe lange darüber nachgedacht und glaube, dass ich eventuell eine Erklärung gefunden habe. Es handelt sich um kleine Symbole von Gefängniskugeln, die man früher den Gefangenen in schaurigen, dunklen Verliesen an ihr Fußgelenk schmiedete, um somit ihre Flucht zu verhindern.“
Mandy blickte ihn bewundernd an: „Eine nachdenkenswerte Interpretation, Carlo. Der Mörder wollte nicht, dass Kati ihm davonlief. Er wollte sie für sich behalten.“
„Durchaus möglich, aber es ist tatsächlich reine Spekulation, das Kettchen könnte für unseren Fall auch keinerlei Bedeutung haben. Wir müssen herausfinden, wo man solchen Schmuck kaufen kann“, bemerkte Gerd Förster.
„Also, werte Kollegen.“ Karl-Heinz von Hohenfels gähnte dezent hinter vorgehaltener Hand. „Ich werde mich ein klein wenig ausruhen, der Bericht folgt so schnell wie möglich.“ An die Kommissarin gewandt fügte er hinzu: „Was sagst du zu einem Tennismatch am Sonntagmorgen, danach Brunch in dem neuen Bistro am Domplatz?“
Mandy strahlte: „Ich bin dabei! Diesmal fege ich dich vom Platz.“
Carlo lächelte milde.
Die Nordic-Walking-Gruppe der kleinen fränkischen Ortschaft
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