Nachtgieger
weißbraune Hühner auf einem mit niedrigem Maschendraht eingezäunten, ebenen Gehege emsig Brotkrumen von der Erde.
„Eine wahrhafte Idylle“, flüsterte Mandy bedrückt. „Bis jetzt.“
Sie klingelte an der Haustür. Eine Frau, etwa Anfang bis Mitte vierzig, öffnete und sah sie fragend an, während sie ihre Hände an einem Geschirrtuch trockenwischte. Sie war klein und ziemlich rundlich. Das volle, rosige Gesicht mit den hellblauen, freundlichen Augen wurde von blonden, welligen, kinnlangen Haaren eingerahmt.
„Ich bin gerade am Kochen: Linsen mit Bauchspeck und Mehlklößen, das Lieblingsgericht meines Sohnes. Was kann ich für Sie tun?“
Für jeden Polizisten war es die schlimmste dienstliche Aufgabe, einer Familie die Nachricht vom Tod eines Angehörigen zu überbringen. Mandys Kehle war wie zugeschnürt.
Der Kommissar räusperte sich: „Wir sind von der Kripo Bamberg, Mandy Bergmann und Gerd Förster, wir möchten Frau Agnes Lämmerhirt sprechen. Dürfen wir ins Haus kommen?“
Erschrocken blickte die Frau ihn an: „Das bin ich, es ist doch hoffentlich nichts Schlimmes passiert? Kommen Sie herein.“
Die kleine Frau führte sie durch einen kurzen, engen Flur, der mit beigebraunen Fliesen ausgelegt war, in die Wohnküche.
Gegenüber der altmodischen, braungetäfelten, blitzblanken Küchenzeile stand ein rechteckiger Tisch in gleichem Farbton mit dazu passenden Stühlen. Ein Läufer in dunklen Rottönen zierte den Esstisch, ebenso eine bauchige Keramikvase mit roten und weißen Dahlien. Das Kirchenblatt war aufgeschlagen, daneben dampfte eine Tasse Kaffee. Es roch nach gekochten Linsen.
„Setzen Sie sich bitte, Frau Lämmerhirt“, begann Gerd Förster. Die Kommissare nahmen ebenfalls Platz. „Ich muss Ihnen eine schlimme Nachricht überbringen. Ihr Sohn Clemens ist tot. Spaziergänger haben ihn vor etwa zwei Stunden auf einem Hochsitz zwischen Walkersbrunn und dem Kasberger Windrad gefunden. Erschossen. Es tut mir unendlich leid.“
Er verstummte und sah die Frau traurig an.
„Nein, nein, Herr Kommissar, das kann nicht sein.“ Agnes Lämmerhirt schüttelte Panik verscheuchend und entschieden den Kopf. „Hier muss ein Missverständnis vorliegen. Mein Sohn liegt oben in seinem Bett. Er schläft immer so lang, wenn er die ganze Nacht auf dem Hochsitz verbracht hat. Sobald er aufwacht, essen wir zusammen zu Abend. Ich halte ja nicht viel von der Jägerei, das ist mir zu brutal, aber mein Sohn hängt mit dem Herzen daran. Außerdem glaubt er, dass er damit die Mädchen beeindrucken kann. Er wünscht sich so sehr eine Freundin.“
Der Kommissar unterbrach entschlossen den Redefluss. „Würden Sie bitte nachschauen, Frau Lämmerhirt.“
Zögerlich stieg sie die Treppe hinauf in den ersten Stock. Sie hörten, wie eine Tür vorsichtig und dennoch knarrend geöffnet wurde. Dann erschütterte ein herzzerreißender, markerschütternder Schrei das kleine Haus.
Gerd Förster sprang auf und erreichte mit drei Sätzen den ersten Stock. Er führte die erstarrte Frau zurück in die Küche und setzte sie auf einen Stuhl. Agnes Lämmerhirt war weiß wie die Wand und nahm die Besucher gar nicht mehr wahr. Zitternd vor- und zurückschaukelnd, die Arme fest um ihren Oberkörper geschlungen, schien sie in eine andere Welt getaucht zu sein.
Mandy stand auf und legte sanft den Arm um sie. Tiefes Mitleid erfüllte sie. Diese zärtliche Geste löste bei Frau Lämmerhirt jämmerliches Schluchzen aus.
„Mein Kind, mein geliebtes Kind!“ Sie rang nach Luft. „Ich will ihn sehen, wo ist er?“
„Ihr Sohn ist in die Gerichtsmedizin nach Bamberg gebracht worden, dort können Sie ihn morgen identifizieren und von ihm Abschied nehmen.“
Die untröstlich weinende Mutter sah sie verstört an. „In die Gerichtsmedizin? Erschossen, haben Sie gesagt? Jemand hat meinen Sohn erschossen?“
„Wir untersuchen die Umstände des Todes Ihres Sohnes, Frau Lämmerhirt. Vielleicht hat ihn jemand erschossen. Wissen Sie, ob Clemens Feinde hatte?“
Agnes Lämmerhirt schüttelte heftig den Kopf: „Nein, natürlich nicht. Mein Sohn hatte keine Feinde. Er ist – er war ein lieber, hilfsbereiter Junge und verstand sich mit allen gut, mit seinen Freunden, seinen Kollegen in der Schreinerei, wo er als Hilfsarbeiter beschäftigt war, und auch mit unseren Nachbarn. Mich hat er unterstützt, wo er nur konnte. Mein Mann ist vor fünf Jahren und dreiundzwanzig Tagen verstorben, Herzinfarkt, ganz plötzlich. Ich lebe von meiner
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