Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Ich will sie, und das weißt du.
Die Stimme dröhnte so gellend durch Adams Kopf, dass er sich am Empfangstresen festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er ahnte, was geschehen würde, wenn er nicht umgehend die Beherrschung zurückgewann. Das Gleiche, was ihm mit jener namenlosen Frau passiert war. Weiter kam er nicht, denn das Rauschen übertönte jeden nachfolgenden Gedanken.
Dann stellte Carrière sich zwischen ihn und die junge Frau, die einfach nicht damit aufhören wollte, ihn anzustarren, als sei er ein wahr gewordener Wunschtraum - und nicht etwa ihr baldiger Tod. Zu seiner Erleichterung wirkte Carrières Körper wie eine Trennwand, so dass sich nicht nur seine überreizten Sinne beruhigten, sondern auch der Dämon sich mit einem Murren zurückzog.
Gut, spiel noch ein bisschen mit ihr, bevor ich sie mir hole.
»Entschuldigen Sie bitte, Madame«, setzte Etienne mit einem Lachen an und verneigte sich vor der jungen Dame, die notgedrungen ein Stück zurückgewichen war. »Aber Ihr resolutes Auftreten hat meinen Freund wohl ein wenig aus der Fassung gebracht.Warum gehen wir nicht gemeinsam ein paar Schritte durch das Foyer?«
Widerwillig nahm die auffällig gekleidete Dame Carrières angebotenen Arm und folgte ihm, ohne Adam jedoch aus den Augen zu lassen. Gekonnt schürzte sie die Lippen. »Als ob es mir jemals gelungen wäre, Charles aus der Fassung zu bringen.«
Mittlerweile hatte sich eine ältere Dame in dunkler, hochgeschlossener Kleidung zu ihnen gesellt, bei der es sich um eine Gesellschafterin zu handeln schien. Sie war alles andere als erfreut über Adams Anblick: Ihre Lippen waren zu einer farblosen Linie zusammengepresst, der Kiefer so angespannt, dass sich Einhöhlungen unter ihre Wangenknochen gruben. Obwohl es sie sichtlich Kraft kostete, zwang sie sich zu einem Lächeln.
»So eine Überraschung«, sagte sie mit einem starken Akzent, der ihr Französisch nur schwer verständlich machte. »Wir wähnten Sie auf dem Weg nach Konstantinopel, Charles.«
»Ah! Sie sind also unserem Charles begegnet«, mischte Carrière sich ein, wobei er tapfer die Rolle des amüsierten Gentlemans aufrechterhielt. »Wir haben eigentlich gehofft, ihn persönlich anzutreffen. Leider haben wir gestern erst in Erfahrung bringen können, dass Charles in diesem Hotel abgestiegen ist. Aber das Einzige, was noch von ihm da ist, ist sein Koffer. Gestatten Sie, dass ich uns vorstelle? Mein Name ist Etienne Carrière und an meiner Seite, immer noch etwas sprachlos, ist mein Neffe Adam, Charles Zwillingsbruder, wie Sie sicherlich bemerkt haben werden.«
Die junge Dame warf den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Einen Moment lang sah es so aus, als würde ihre Gesellschafterin sich aus lauter Verzweiflung über diese Szene einfach umdrehen und gehen, aber dann atmete sie tief ein und sagte: »Ja, was für ein Zufall.Wenn Sie uns nun entschuldigen würden? Antonia und ich wollten gerade zu einem Spaziergang aufbrechen, ehe wir zum Essen erwartet werden.« Entschlossen nahm sie den Arm der jungen Frau, doch die schenkte ihr nicht die geringste Beachtung.
»Du bist ein grausamer Mann, Charles«, sagte sie in einem akzentdurchsetzten Italienisch, das Adam jedoch vor keinerlei Probleme stellte. »Das ist doch wieder nur eins von deinen Spielchen. Auch wenn ich es eine Zeit lang aufregend fand, mich von dir verwirren und vor immer neue Rätsel stellen zu lassen, so bin ich es inzwischen müde. Dir ist es vielleicht nicht bewusst, aber Paris ist voll mit hübschen Messieurs, einer ausgefallener als der andere. Kein Vergleich zu Lucca, wo ich dankbar für jedes bisschen Unterhaltung war. Hier braucht es schon ein wenig mehr als dieses Schmierentheater, um meine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.«
Adam musterte sie und ignorierte dabei sowohl das nervöse Hüsteln der älteren Dame als auch die neugierigen Blicke, mit denen sie mittlerweile ungeniert bedacht wurden. Im Gegensatz zu ihren Worten deutete jede Geste von der jungen Frau, die anscheinend Antonia hieß, darauf hin, dass sie keineswegs etwas dagegen hatte, sich auf ein Spiel mit ihm einzulassen.Vielmehr lechzte sie geradezu danach. Und da sie sein altes Ich zweifelsohne kennengelernt hatte, würde er ihr geben, was sie wollte. Das war vielleicht seine einzige Chance, etwas über den Mann herauszufinden, der er einmal gewesen war.
»Sie haben Charles also in Lucca kennengelernt, in der Toskana«, sagte er mit einer ruhigen
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