Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
des Motors, achtete darauf, wie der Wagen auf der Straße lag, und ließ seine Aufmerksamkeit nur allzu gern von den unzähligen Reklametafeln einfangen, die die Stadt in der Dämmerung in buntes Licht tauchten.Was auch immer sich zwischen Esther und ihm abgespielt hatte, er konnte sich jetzt unmöglich damit auseinandersetzen. Er musste seinen Geist dazu bringen, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Etwas Naheliegendem wie der Aufgabe, die er übernommen hatte, obwohl sie - zu seiner eigenen Verwunderung - keinerlei Reiz auf ihn ausübte.
»Dann wirst du dich eben dazu zwingen«, versprach er sich selbst, als er in eine schmale Sackgasse fuhr und den Motor abstellte.
Esthers Liste war Zeile um Zeile mit Informationen bedruckt. Informationen, die ihm davon erzählten, was auch Anders bereits herausgefunden hatte: Einer von ihnen schwelgte im Blutrausch. Weder war er in der Lage, den Opfern gerade so viel abzuverlangen, dass sie lebendig davonkriechen konnten und der Dämon trotzdem zufrieden war. Noch versteckte er die blutleeren Überreste vor neugierigen Augen.
Allerdings gelang es Adam, noch etwas anderes herauszulesen - und wenn Anders es ebenfalls bemerkt haben sollte, so hatte er es Esther gegenüber zumindest mit keinem Wort erwähnt. Außer dem Blutdienst gab es noch einen weiteren Nenner: Wer auch immer die Opfer auf so unterschiedliche Weise zur Schau gestellt hatte, war ein Meister auf diesem Gebiet.
Der Einzige unter ihresgleichen, der das Opfern um seiner selbst willen liebte, war allerdings zurzeit nicht in der Stadt, soweit Adam wusste.Außerdem war Lakas ein Pfuscher auf diesem Gebiet, nach allem, was er damals in Paris aufgeschnappt hatte. Den Anblick des aufgebrochenen Brustkorbs, den Truss ihm stolz präsentiert hatte, hatte er nicht vergessen. Nein, Lakas war zu ungeschickt, so viel stand fest.
Er warf die Liste auf den Beifahrersitz, stieg aus und schlug die Tür mit mehr Kraft zu, als notwendig war. Nur mit Mühe konnte er dem Bedürfnis widerstehen, vor Anspannung die schmale Straße auf und ab zu rennen, obwohl es in ihm summte wie in einem Hornissennest. Gegen seinen Willen sah er durch das Seitenfenster nochmals auf die Liste. So langsam breitete sich doch noch Jagdfieber aus.
In L.A. war also ein Meister der Opferung unterwegs, und niemand außer ihm wollte dessen Spuren richtig gelesen haben. Zwar war Adam sich der Einzigartigkeit seiner Gabe bewusst, aber für seinen Geschmack lag dieser Hinweis auf den Unbekannten zu deutlich auf der Hand. Bei Anders mochte es noch angehen, dass er darüber hinwegsah, aber Rischka war eine gewitzte Frau. Sie hätte von selbst darauf kommen müssen, dafür brauchte sie ihn eigentlich nicht. Oder … es steckte mehr dahinter, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.
Plötzlich gefiel Adam die Aussicht auf die bevorstehende Jagd besser als erwartet.
Einmal angenommen, Rischka wusste mehr darüber, warum hatte sie dann ausgerechnet ihn in die Stadt gerufen? Es musste
ihr schließlich klar sein, dass er den Unbekannten ohne großen Aufwand finden würde.
Dann kam Adam ein Gedanke, der das Ganze unendlich viel interessanter machte: Es ging Rischka nicht darum, dass er bloß den Übeltäter stellte. Sie kannte seine Gabe gut genug, um zu wissen, dass er die Spur mühelos würde lesen können. Sie führte etwas anderes im Schilde. Ja, das klang eindeutig nach der Frau, die er auf dem Hausboot an der Seine kennengelernt hatte. Rischka verfolgte immer eigene Ziele. Nun galt es herauszufinden, warum sie Anders’ Problem vorgeschoben hatte, um ihn hierherzulotsen. Und warum sie Esther die Sache mit dem blutigen Hinterhof in den Kopf gesetzt hatte, obwohl diese Fährte laut Anders doch eine Sackgasse war … Genau damit würde er anfangen, entschied er.
Adam verschränkte die Hände hinter dem Nacken und atmete tief durch. Die Sackgasse stank nach den Abfällen, die sich an den Hausmauern türmten, aber das kümmerte ihn nicht. Auch das wütende Gebrüll eines Mannes in einem der Apartments oder der einsetzende Regen störten ihn nicht. Er war gerade dabei, einen Grund dafür zu finden, warum es sich lohnte, in Los Angeles zu bleiben. Einen anderen Grund als zwei sturmgraue Augen, die ihn mit Missachtung straften, weil sie nicht mehr als einen Dämon in ihm sahen.
Erneut führte Adam sich jedes Detail der Opferungen vor Augen, nur um mit jedem Moment mehr Ehrfurcht zu empfinden. Von ihnen ging eine dunkle Magie aus, die seine Sinne aufrührte,
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