Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Augenbrauen hob, griff Esther nach dem Hörer. »Ja?«, fragte sie ungehalten.
»Guten Morgen, Esther.« Anders klang amüsiert. »Sind Sie vielleicht mit dem falschen Fuß aufgestanden? Diesen Tonfall habe ich, wenn ich mich nicht irre, noch nie bei Ihnen gehört. Richtig zähnefletschend.«
»Entschuldigen Sie bitte, es ist nur … Ich habe überraschend Besuch bekommen.«
»Tatsächlich?«
Es entstand eine kleine Pause, während der Adam sich an Esthers Seite stellte, wie um mitzuhören. Was angesichts seiner sensiblen Sinne, von denen Rischka ausgiebig geschwärmt hatte, natürlich lächerlich war. Unwillkürlich rutschte Esther ein kleiner Seufzer heraus, als er ihre Hüfte streifte.
»Lassen Sie mich raten: Adam hat Sie bereits aufgespürt und Ihnen die gute Nachricht persönlich überbracht. Tut mir leid, dass ich zu spät dran bin.«
»Das ist doch kein Problem«, beschwichtigte Esther ihn, obwohl ihr etwas anderes durch den Kopf ging. Zum Beispiel, wie sie Adam auf Distanz halten sollte, wenn ihr Körper schon auf eine zufällige Berührung so intensiv reagierte. »Ich stehe nun also vorläufig in seinen Diensten?«
»Es wird bestimmt nur von kurzer Dauer sein. Gemeinsam werden Sie das schon schaffen.«
Genau die Antwort, die man von Anders erwarten konnte. Bloß kein Problem thematisieren, wenn man es vermeiden kann. Esther seufzte ergeben und verabschiedete sich.
»Zufrieden?« Der Blick, den Adam ihr unter halb geschlossenen Augen zuwarf, bestätigte jedenfalls, dass er es zumindest war. Ein zufriedener Kater, der seinen Willen bekommen hat.
Esther machte auf der Stelle kehrt, griff sich Mantel und Handtasche und hielt auf die Apartmenttür zu.
»Wo wollen Sie anfangen?«
Zuerst glaubte sie, Adam hätte sich kein Stück vom Fenster fortbewegt, aber als sie sich umdrehte, stand er direkt hinter ihr. Instinktiv legte sie eine Hand auf seine Brust, um ihn wegzuschieben. Doch aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht dazu durchringen.
»Ich möchte als Erstes diesem Hinweis nachgehen, den Sie nicht auf die Liste gesetzt haben: der Hinterhof mit den Blutflecken. Sie wissen schon, die Sache, die Rischka von Bedeutung fand.«
Esthers Herz drohte einen Schlag auszusetzen, als es ihr endlich gelang, den Arm zu senken. Ihre Haut war erhitzt, wo sie Adams Brust berührt hatte. »Sie glauben, dass die Polizei nur nicht imstande gewesen ist, den wahren Grund für die Blutflecken ausfindig zu machen?«
»Wenn man sich Ihre Liste ansieht, stellt man schnell fest, dass es dem Täter um zwei Dinge geht: das Ausbluten und das Zurschaustellen der Leichen. Demonstrativ, als wolle er uns sein Treiben direkt vor Augen halten.Vielleicht hat die Polizei den Ort der Inszenierung einfach nur nicht gefunden.«
»Die Adresse habe ich doch für Sie notiert, dorthin dürften Sie also ohne Schwierigkeiten allein finden.«
Auf Adams Zügen flackerten für einen Sekundenbruchteil sich widersprechende Gefühle auf: Ungeduld,Verständnis, aber auch eine Sehnsucht, die Esther aus eigener Erfahrung kannte.
Der Wunsch, jegliche Vernunft auszuschalten und ausschließlich seinen Gefühlen zu folgen. Wenn man sich dieser Sehnsucht überließ, begrub sie alles andere unter sich.Als Adam sich einen Moment später wieder unter Kontrolle hatte, wusste sie nicht, ob sie darüber glücklich oder verzweifelt sein sollte.
Mit undurchdringlichem Ernst hielt er ihren Blick fest.
»Natürlich würde ich dort auch allein hinfinden. Das Entscheidende ist jedoch, dass ich das nicht muss. Sie gehören ab jetzt nämlich an meine Seite, und je eher Sie das akzeptieren, umso leichter wird das Ganze für uns.«
Es klang wie ein Versprechen. »An deiner Seite«, flüsterte Esther unwillkürlich, während er ihr die Tür öffnete. Sie hoffte, dass er sie nicht gehört hatte, aber weder sein Gesicht noch seine Haltung verrieten etwas darüber. Er war genauso undurchsichtig, wie sie es in seiner Nähe gern gewesen wäre.
13
Vergebens
In dieser Gegend von L.A. waren die Häuser nicht mehr als einfache Holzschuppen, deren Veranden den Eindruck erweckten, sofort zusammenzubrechen, wenn jemand kräftig mit dem Fuß auftrat. Die Grundstücke waren nicht sauber aneinandergereiht, sondern wirkten wie zufällig abgesteckt, dazwischen lag Brachland. Für diese Ecke hatte sich die Baubehörde allem Anschein nach wenig interessiert, alles hatte einen leicht anarchischen Anstrich, wenn es nicht schlicht verwahrlost war. Perfekt zum Wildern, dachte
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