Nachtglut: Roman (German Edition)
abgezogen, als wir noch zusammen auf der Stephen F. waren.«
Abgesehen davon, daß er über den Namen gestolpert war, klang es übezeugend. Sein Diplom von der Stephen-F.-Austin-Universität hing an der Wand seines Büros. Er hatte Mrs. Presley schon des öfteren mit Schwänken aus seinem Clubleben unterhalten, die alle erlogen waren. In Wirklichkeit war er nie aufgefordert worden, einem Studentenclub beizutreten.
Zu seiner Erleichterung steckte der Cowboy sein Messer weg. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt, Madam … konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, meinen alten Kumpel hier mal wieder kräftig auf den Arm zu nehmen!« Seine Hand knallte auf Emorys Schulter wie ein Holzhammer. Emory krümmte sich beinahe unter dem Zugriff des kräftigen Hiebs.
Die Sekretärin lächelte zaghaft. »Was ist mit dem…« Sie hielt das Päckchen Alka-Seltzer hoch.
»Lassen Sie’s. Aber trotzdem vielen Dank.«
Immer noch unsicher, schob sie sich zur Tür hinaus und zog diese hinter sich zu.
Der Cowboy blieb leider.
Er zog das Messer wieder aus der Scheide und ließ sich Emory gegenüber auf der Schreibtischkante nieder.
»Sind Sie wahnsinnig geworden?« zischte Emory ihn an,
obwohl sein Mund so trocken war, daß er glaubte, das Wort würde ihm im Hals steckenbleiben.
»Wenn ich wahnsinnig wäre, hätte ich Ihnen die Gurgel durchgeschnitten. Nur ein letzter Funke Vernunft hat mich davon abgehalten. Seien Sie froh und dankbar dafür, Emory! Sie gestatten, daß ich Sie Emory nenne? Aber natürlich, wir sind ja Clubbrüder.«
»Verschwinden Sie auf der Stelle aus meinem Büro, oder ich…«
»Immer mit der Ruhe, Emory, Sie sind nicht in der Position, hier den starken Mann zu markieren. Ehrlich gesagt, nichts wäre mir lieber, als daß sie den Sicherheitsmenschen reinrufen und eine Szene machen. Dann könnte ich nämlich allen, die es hören wollen, von dem Gespräch erzählen, das ich heute beim Mittagessen zufällig mitbekommen habe. Meine Wenigkeit saß gleich in der nächsten Nische direkt hinter Ihnen und vernahm all Ihre unverschämten Lügen.«
Emory sah den stahlharten Blick und zweifelte keinen Moment daran, daß der Cowboy seine Drohung in die Tat umsetzen würde.
»Überlegen Sie, Emory. Was glauben Sie wohl, wie das Märchen von Ihrer intimen Beziehung zu Mrs. Corbett beim Präsidenten der Bank ankäme? Und bei den anderen Vorstandsmitgliedern. Besonders bei den weiblichen. Na? Was denken sie, was dabei herauskommen würde, Emory?«
Eine Katastrophe, das war Emory klar. An eine Bankkarriere wäre dann nicht mehr zu denken. Er konnte aber seine Stellung hier nicht aufgeben, bevor er die Leute von EastPark in der Tasche hatte. Zudem fehlte noch ein Riesenbetrag zur Bezahlung des Jaguars. Den Wagen zurückgeben zu müssen war undenkbar.
»Da stünde mein Wort gegen Ihres.« Er zwang sich zu einem Lachen, das allerdings ziemlich brüchig klang. »Wer würde Ihnen schon glauben?«
»Oh, ich bin sicher, daß ich die meisten Frauen auf meiner
Seite hätte. Anna Corbett ist bestimmt nicht die einzige Dame, die Sie mit Ihrem Machogehabe und Ihren Aufdringlichkeiten belästigt haben.«
»Sie bluffen doch nur. Wenn Sie es ernst meinten, hätten sie mir nicht in meinem Büro aufgelauert. Sie hätten mich draußen im Schalterraum gestellt, wo es jeder hören konnte.«
»Das hab ich nur deshalb nicht getan, weil ich Mrs. Corbett die Peinlichkeit ersparen wollte, in eine so gemeine Lügengeschichte hineingezogen zu werden.«
»Ach, so ist das! Sie haben selbst ein Auge auf die taubstumme Witwe geworfen. Wie rührend! Na, dann nur munter zu!« Er prustete spöttisch. »Haben Sie den Teil über sie und Delray nicht gehört? Wollen sie da weitermachen, wo der Alte schon jahrelang gefummelt hat?«
Der Cowboy kniff die Augen zusammen, und Emory fürchtete, zu weit gegangen zu sein. Wer war dieser Kerl überhaupt? Woher war er plötzlich gekommen? Emory wußte nichts über ihn. Total blöde von ihm, einen Typen zu provozieren, der ein offenes Messer in der Hand hielt – ein Messer, das vielleicht schon anderen an den Kragen gegangen war. Es würde ihn nicht wundern, wenn dieser Jack oder wie immer er heißen mochte, seine Drohung wahrmachte und ihm die Kehle aufschlitzte.
Ein Glück, dachte Emory, daß er mich nicht mit seiner Verhaftung heute morgen in Verbindung gebracht hat. Sonst wäre ich jetzt bestimmt schon eine Leiche. Aber der Kerl hockte bloß hier, um Anna Corbetts Ehre zu verteidigen.
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