Nachtglut: Roman (German Edition)
blickte die Straße hinauf und hinunter. »Ich an Ihrer Stelle würd machen, daß ich wegkomm.«
»Warum?«
»Hier ist doch nichts los.«
»Ja, stimmt – ein ziemlich verschlafener Ort!«
»Höchstens wenn die Herbolds hier aufkreuzen, dann könnt’s ein bißchen Action geben.« Er schnalzte mit seinem Kaugummi, als behagte ihm diese Möglichkeit sehr. »Mein Vater hat sie gekannt, als sie noch hier gewohnt haben.«
»Ach was?«
»Üble Typen, sagt er. Er meint, es könnte sein, daß sie auf dem Weg hierher sind, aber das glaub ich nicht. Wer kommt schon freiwillig nach Blewer – noch dazu direkt aus dem Knast? Ich, wenn ausgebrochen wär, würd irgendwo in eine Großstadt abzischen und mir ’nen schönen Lenz machen.« Er zwinkerte. »Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, ja, durchaus.« Jack griff in seine Hosentasche. »Was schulde ich Ihnen?«
Auf diesen freundlichen Wink hin ging der junge Mann nach vorn zum Wagen, warf die leere Öldose in einen Mülleimer und klappte die Motorhaube zu. »Bar oder Kreditkarte? Wenn Sie bar zahlen, kriegen Sie fünf Prozent Rabatt und einen kostenlosen Bierdeckel.«
Jack reichte ihm zwei Zwanzigdollarscheine durch das offene Fenster. »Den Rabatt nehm ich. Den Bierdeckel können Sie behalten.«
»Echt? Meine Freundin und ich sammeln die.«
»Na bitte!«
»Cool. Ich bring Ihnen gleich Ihr Wechselgeld.«
Während des Gesprächs war Jack zu einem Entschluß gelangt: Er würde bleiben. Bis die Herbolds entweder gefaßt oder unschädlich gemacht waren. Anna würde ihn vielleicht vom Hof jagen – er könnte es verstehen, wenn sie ihn nicht mehr bei sich duldete. Aber er konnte Blewer nicht verlassen,
solange Carl und Cecil noch auf freiem Fuß waren und damit eine Gefahr für sie und David.
»Bitte.« Der Junge gab ihm das Kleingeld. »War ’ne gute Bedienung!« sagte Jack.
»Schon in Ordnung. Danke für den Bierdeckel.« Mit einer Kopfbewegung zum Horizont hinter der Tankstelle fügte er hinzu: »Ganz gleich, wohin Sie wollen, Mister, da vor würd ich schleunigst abhauen.«
Jack sah durch das Rückfenster und bemerkte zum erstenmal die dunklen Gewitterwolken, die sich am Horizont zusammenbrauten.
»Lauter Idioten!«
Lucy, die mit einer Kanne frischen Kaffees an den Tresen kam, fragte: »Wer, Ezzy?«
»Entschuldige die harten Worte, Lucy. Ich schau mir hier die Nachrichten an.« Er wies auf den Fernseher.
Die Kaffeepause hatte er eingelegt, um sich von Nichtstun und Langeweile zu erholen. Für die arbeitende Bevölkerung war es kurz vor Feierabend – die Kaffeepausenzeit lang vorbei, für das Abendessen noch zu früh. Ezzy befand sich als einziger Gast im Busy Bee.
Er und Lucy hatten sich über die Chancen des Footballteams von Blewer in der neuen Spielsaison unterhalten; aber er hatte immer wieder einmal einen Blick zu dem kleinen Fernsehapparat geworfen, der auf ihrem Arbeitstisch zwischen dem Mixer und der Mikrowelle stand. Seine Aufmerksamkeit nahm zu, als Oprah sich von den Zuschauern verabschiedete und die erste Ausgabe der regionalen Abendnachrichten folgte.
Zentrales Thema war die Großfahndung nach den entflohenen Häftlingen geblieben, die nun seit mehr als einer Woche durchs Land flüchteten. Aber es gab ein neues Kapitel zu der Geschichte. In Nordwest-Louisiana hatte man auf dem Grund eines Brunnenschachtes in einer Farm die Leichen
zweier alter Frauen gefunden. Carl Herbold und Myron Hutts wurden verdächtigt, die beiden getötet zu haben; ihre Fingerabdrücke überzogen das ganze Haus. Jetzt koordinierten die Polizeibehörden von drei Staaten ihre Bemühungen, die Flüchtigen zu fassen, und mit ihnen Cecil Herbold und Connie Skaggs.
Der Sender brachte Liveaufnahmen einer Straßensperre, wo uniformierte Beamte, bis an die Zähne bewaffnet, hinter ihren Streifenwagen lauerten. Die Kamera fing einen ein, der gerade gähnte. Das war Ezzys Anlaß zu seiner Beschimpfung gewesen.
Nachdem Lucy seine Tasse aufgefüllt hatte, stemmte sie eine Hand in die Hüfte und sah sich mit Ezzy zusammen die Reportage an, bis die Sendung zum nächsten Thema überging.
»Wer sind die Idioten, Ezzy?«
»Na, jedenfalls nicht die Herbolds.«
»Du meinst, die Polizei macht das nicht richtig mit der Fahndung?«
Er warf ihr einen ironischen Blick zu. »Wenn du aus dem Knast ausgebrochen wärst, vier Menschen umgebracht und eine Bank ausgeraubt hättest – und dabei gleich noch einmal ein paar Leute dran glauben mußten –, würdest du dich dann auf
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