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Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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gestorben, als Cecil gerade laufen lernte und Carl noch in den Windeln lag. Wenn er je gewußt hatte, woran sein Vater gestorben war, so hatte er es vergessen. Aber er vermutete, sein Alter hatte sich ein frühes Grab herbeigewünscht, um sich ihr ständiges Geflenne nicht mehr anhören zu müssen.
    Sie hatte in einem Frisiersalon gearbeitet. Carl erinnerte sich an den Ammoniakgeruch der Dauerwellenmittel, der ihr anhaftete, wenn sie abends nach Hause kam. Und er erinnerte sich an ihr wehleidiges Gewinsel, daß sie todmüde sei. Abend für Abend hatte sie ihn und Cecil angefleht, Ruhe zu geben und keine Dummheiten zu machen, weil sie eine Verschnaufpause brauche. Aber wenn sie nicht gehorchten, kam sie leider nie auf eine erzieherische Maßnahme.
    Irgendwann fiel ihm und Cecil auf, daß sie sich veränderte.
Sie wurde munterer, gab sich mehr Mühe mit ihrem Haar, schminkte sich und begann, hohe Absätze zu tragen. Samstag abends ging sie aus. Carl erinnerte sich lebhaft an den Tag, als sie einen Mann mit nach Hause brachte und ihren Söhnen erklärte, das sei Delray Corbett, der bald ihr neuer Daddy werden würde.
    Carl nahm den Fuß vom Gaspedal und ließ den Wagen den Rest des Wegs zum Haus rollen. Er knipste die Scheinwerfer aus, noch bevor er den Motor abschaltete. Dann schob er sich eine Pistole in den Hosenbund und sagte zu Myron: »Du bleibst hier draußen, wo dich keiner sieht, bis ich drinnen bin, okay?«
    »Okay.«
    Er öffnete die Wagentür und stieg aus. Gerüche nach Heu und Jauche weckten augenblicklich Erinnerungen an den erzwungenen Umzug von der Stadt aufs Land.
    Jahrelang waren die Straßen und Hinterhöfe von Blewer sein und Cecils Revier gewesen. Jeden Tag hatten sie sich nach der Schule an einem festen Treffpunkt mit ihren Freunden zusammengerottet und waren auf Abenteuer ausgegangen. Es gab immer etwas auszuprobieren, was neu war, an Herausforderungen fehlte es nie.
    Von den älteren Jungen lernten sie Rauchen, Trinken und Stehlen. Bei Prügeleien waren sie meistens obenauf. Sie ahmten die Rowdys nach und verachteten die Schwächlinge. Was es mit Mädchen auf sich hatte, begriffen sie schnell und holten sich, was sie wollten – mit Nötigung, wenn Charme nicht wirkte. Carl lernte schneller als Cecil, aber Cecil war auch nicht von gestern.
    Und dann fanden sie sich unversehens aus allem herausgerissen, was ihnen vertraut war: aus ihrer Clique, ihrer gewohnten Umgebung, dem freien Leben, das sie genossen hatten. Carl hatte die Ranch gehaßt. Er haßte den Gestank und die tägliche Schufterei, die Vorschriften, die ständigen Ermahnungen, die Bibelstunden. Außerdem haßte er Corbett,
der ihn und Cecil streng zu bestrafen pflegte, wenn sie seinen Befehlen nicht folgten.
    Er war wütend auf seine Mutter, die ihnen dieses Leben mit Corbett angetan hatte, und empfand nichts als Erleichterung und Triumph, als sie an dem Blutgerinnsel, das von ihrem Bein in ihre Lungen hinaufgewandert war, starb. Am Tag ihres Begräbnisses feierten er und Cecil: Nie wieder würden sie sich ihre flehentlichen Beschwörungen anhören müssen, doch brav zu sein, sich zu bemühen, mit Delray auszukommen – der ihnen ein so guter Vater sein könnte, wenn sie es nur zuließen.
    Die Erinnerung an ihr Gejammer und an Corbetts Härte brachte Carl heute noch zur Weißglut.
    Er hob die Faust und klopfte heftiger als beabsichtigt an die Tür. Wenige Augenblicke später ging das Licht auf der Veranda an. Da er vermutete, daß er durch den Spion beobachtet wurde, schnitt er eine komische kleine Grimasse und schirmte seine Augen gegen das grelle Licht ab. Die Haustür wurde geöffnet.
    »Guten Abend, Mrs. Bailey«, sagte er in gewinnendem Ton. »Das ist ja ein Wahnsinnslicht, das Sie hier auf Ihrer Veranda haben. Sind doch bestimmt tausend Watt!«
    »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, junger Mann?«
    Sie war eine kleine, schmächtige Frau um die Siebzig, mit Brille, blaugetöntem Haar und einem entgegenkommenden Lächeln. Mit anderen Worten, ein Kinderspiel.
    »Wer ist es denn, Schwesterchen?«
    Eine zweite Frau erschien an der Tür, ein wenig runder, ein wenig hübscher und noch entgegenkommender.
    Carl lächelte entwaffnend.

15
    J ack war ziemlich sicher, daß Delray ihn irgendwo auf dem Weg zwischen der Ranch und dem Futtermittelgeschäft feuern würde.
    Am frühen Morgen hatte der Rancher ihm eine Arbeitsliste in die Hand gedrückt und war dann in seinem Pick-up weggefahren. Er hatte nicht gesagt, wohin er wollte; aber

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