Nachtglut: Roman (German Edition)
Integrität, so hätte er nicht versucht, Delray mit seiner Verbindung zu Carl Herbold unter Druck zu setzen. Die Art und Weise, wie er sich Anna gegenüber verhalten hatte, bewies zusätzlich, daß der Typ völlig gewissenlos war und ein egozentrisches Arschloch dazu. Eine gefährliche Kombination.
»Erzähl Jack, was du zu ihm gesagt hast«, forderte Delray seine Schwiegertochter mit einem leisen Lachen auf. Sie wandte sich Jack zu. Delray übersetzte ihre Zeichen in Worte. »Ich hab so getan, als fühlte ich mich geschmeichelt. Als er vorschlug, wir sollten uns treffen, habe ich ihn – ich habe ein häßliches Wort gebraucht«, übersetzte Delray mit Rücksicht auf David. »Ich hab gesagt, er soll seine Schleimerhände wegnehmen, sonst tret ich ihn in die Sie-wissenschon-was.«
David spitzte sofort die Ohren. »Wohin sollte Mama ihn treten, Opa?«
»Ich kann’s mir lebhaft vorstellen!« Jack schnitt eine Grimasse. »Sie hätten es tun sollen, Anna.« Sie lächelte ihm zu. Er hielt ihr seine leere Schale hin und sagte: »Darf man um einen Nachschlag ersuchen? Bitte?«
Er schaute zu, wie sie das Eis aus dem Stahlbehälter löffelte. Das Licht, das aus dem Inneren des Hauses durch die Fenster fiel, erhellte nur eine Seite ihres Gesichts. Die andere verschmolz mit den Schatten. So heiß der Abend war, ihre Haut wirkte kühl. Sie machte keine überflüssigen
Bewegungen. Als etwas Eis auf ihren Finger tropfte, leckte sie es unbefangen ab.
Dann merkte Jack, daß Delray ihn bei seiner Betrachtung Annas beobachtete. Er aß seine zweite Portion Eis in Rekordzeit, sagte gute Nacht und trat den Rückzug an.
Lange stand er unter dem dünnen Wasserstrahl der kleinen Dusche im Wohnwagen und sagte sich immer wieder: »Mach jetzt bloß keinen Quatsch und verpatz alles, Jack. Verpatz es nicht!«
18
E s war ein gottverlassenes Nest, stockfinster, ohne Leben. Eine einsame Verkehrsampel hing leise schwankend über der Kreuzung der beiden Hauptstraßen; aber sie war ausgeschaltet und blinkte nicht einmal. Aus keinem Fenster schien mehr Licht. Nicht einmal eine streunende Katze strich durch die verlassenen Straßen.
Doch Carl Herbold war auf Raubzug.
Die Bailey-Farm in Nordwestlouisiana war der ideale Unterschlupf gewesen. Eine komfortablere Unterkunft hätte Carl sich nicht wünschen können. Speisekammer und Tiefkühlschrank waren wohlgefüllt gewesen mit Nahrungsmitteln. Es gab mehr Fernsehprogramme, als er und Myron sich anschauen konnten. Die zentrale Klimaanlage hielt die Temperatur im Haus auf angenehmen zwanzig Grad.
Carl überkam beinahe etwas wie Wehmut, als es Zeit wurde, sich von diesem Idealquartier zu verabschieden. Die verwitwete Mrs. Bailey und ihre unverheiratete Schwester hatten seit G. R.’s Tod allein in dem Haus gelebt. Es war anzunehmen, daß die Nachbarn von Zeit zu Zeit nach den beiden alten Damen zu sehen pflegten – darum hatte Carl an diesem Morgen beschlossen weiterzuziehen. Es empfahl sich nicht, zu lange an einem Ort zu verweilen, wenn die gesammelten Polizeibehörden – Stadt, Staat, Bund – hinter einem her waren.
Die Schwestern Bailey hatten sie, in Frieden ruhend, mit ein paar Kugeln in den Köpfen auf dem Grund ihres Brunnens zurückgelassen.
Carl war nie einer gewesen, der gut warten konnte – sondern
ein Mann der Tat. Den Gedanken allerdings, sich gleich nach der gelungenen Flucht aus dem Knast zusammenzutun, hatten er und Cecil verworfen. Da würden die Bullen erst mal voll Druck machen. Cecil würde Tag und Nacht beobachtet werden, bis die Behörden überzeugt waren, daß die Brüder Herbold zu schlau waren, etwas so Vorhersehbares zu tun und damit zu riskieren, daß Carl gleich wieder geschnappt wurde. Deshalb hatten sie eine Wartezeit vereinbart, um die Wogen sich erst einmal glätten zu lassen. Aber allmählich begann Carl kribbelig zu werden.
Und Geld war inzwischen auch ein Problem geworden. Der verblichene Mr. Bailey hatte seiner Gemahlin zwar ein Haus mit allem Komfort hinterlassen, doch die beiden alten Weiber fürchteten anscheinend jämmerlich um ihre Kröten. Sie hatten kein Bargeld im Haus aufbewahrt. Selbst als Carl die gute Mrs. Bailey an Myron weitergereicht hatte, damit er sich mit ihr amüsierte, hatte die Schwester, die alte Jungfer, schluchzend beteuert, sie könne ihnen nicht mehr Geld geben als das bißchen, was sie in ihrer Geldbörse habe. Siebenundzwanzig lumpige Dollar.
Carl war der Gelackmeierte gewesen. Nachdem er sie beide umgebracht hatte,
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