Nachtglut: Roman (German Edition)
einfach ins Krankenhaus fahren und mein Glück versuchen.«
»Ich glaube nicht, daß er sich über Ihr Kommen freuen wird«, wandte Jack ein.
Herbold musterte ihn mit abschätzigem Blick. »Danke für die Warnung, Mr. – äh – wie war doch gleich Ihr Name?«
»Jack Sawyer.«
»Kenn ich Sie?«
»Nein.«
»Aha. Sind Sie jetzt mit ihr – mit Anna, mein ich – verheiratet?«
»Ich bin der Ranchhelfer.«
»Ah – der Ranchhelfer«, wiederholte er gedehnt in einem Ton, der an seiner Geringschätzung keinen Zweifel ließ. Er spazierte gemächlich durch die Küche, wobei er alles genau musterte, von der Tapete bis zum Geschirr, das ordentlich gestapelt
in den Glasschränken stand. »Alles anders als früher. Hast du gewußt, daß ich mal hier gewohnt hab, David?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Hat dir dein Opa nie von mir und meinem Bruder Carl erzählt?«
Neuerliches Kopfschütteln.
»Nein? O ja, Carl und ich haben hier auf der Ranch rumgetobt wie die Indianer.« Er kehrte zu den dreien zurück, die dicht beieinander standen. »Es bricht mir echt das Herz, wenn ich dran denke, wie Delray sich von uns abgewandt und uns so mir nichts dir nichts aus seinem Leben gestrichen hat.«
Der ungebetene Gast seufzte traurig, dann klatschte er in die Hände. »Aber deswegen bin ich gekommen, weil ich das ändern möchte. Hoffentlich kann ich den Bruch wieder kitten. Also, dann mach ich mich jetzt mal auf den Weg und laß Sie weiterfrühstücken.«
Rückwärts ging er zur offenen Tür der Waschküche. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Anna.« Er sprach übertrieben laut, als meinte er, so ihre Taubheit durchdringen zu können. »Bis später mal, David«, sagte er und zwinkerte dem Jungen zu. Jack überging er.
Sobald er das Haus verlassen hatte, setzte Jack sich in Bewegung. Durch das Fenster in der Tür sah er Herbold in einen zehn Jahre alten Mustang einsteigen. Er war allein. Bedachtsam wendete er den Wagen und fuhr um das Haus herum nach vorn. Jack verriegelte die Hintertür, lief durch die Küche zur Haustür und beobachtete durch die Scheibe Herbold, bis dieser das Tor passiert hatte und nicht mehr zu sehen war. Dann verriegelte er auch den Vordereingang.
Als er sich herumdrehte, stand Anna hinter ihm im Flur, offensichtlich so besorgt wie er. Herbolds Besuch hatte ihnen allen den Appetit geraubt. Das Frühstück war vergessen. Um Davids willen zwang er sich zu lächeln.
»Hey, Rocket Ranger, hast du dein Bett schon gemacht?«
»Ich hab doch gar nicht in meinem Bett geschlafen, Jack.« »Ach ja, stimmt!«
Ratlos sah er Anna an, die ihrem Sohn mit kurzen Gesten etwas mitteilte.
»Aber meine Sendungen kommen jetzt noch gar nicht, Mama«, quengelte er. Weitere Gesten folgten. »Ach, Mensch, Sesamstraße ist für Babys!« Sie scheuchte ihn mit den Händen davon. David verdrehte die Augen, tappte ins Wohnzimmer und schaltete den Fernsehapparat ein.
Jack zog Anna neben sich auf die unterste Treppenstufe. Er sah ihr ernst in die Augen. »Sie sollten mit David verschwinden.«
Entsetzt starrte sie ihn an.
»Fahren Sie einfach. Nach Galveston. Oder San Antonio. Irgendwohin, wo es David gefallen würde.«
Sie wollte aufstehen, aber er hielt sie fest. »Hören Sie mir zu, Anna, bitte.« Er nahm ihre Hände in die seinen, bevor sie wieder auf ihren Defekt hindeuten konnte. »Ach, Sie wissen schon, was ich meine«, sagte er ungeduldig. »Was glauben Sie, warum Cecil Herbold heute morgen hier aufgekreuzt ist?«
Anna zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es auch nicht, aber es gefällt mir gar nicht. In den Zeitungen steht genug über diese Typen. Sie sind gefährlich. Delray würde es bestimmt nicht passen, daß der Kerl sich hier rumtreibt, besonders jetzt, wo Carl auf der Flucht ist. Ich werd im Krankenhaus anrufen und denen sagen, daß sie Cecil auf keinen Fall zu Delray lassen sollen. Einverstanden?«
Sie nickte.
»Dann gehen Sie jetzt packen. Sie können noch kurz bei Delray im Krankenhaus vorbeischauen, und dann fahren Sie gleich von dort aus weiter.«
Sie gestikulierte. Er wußte, daß es Protest gegen seinen Vorschlag war.
»Hier sind sie nicht sicher, Anna«, wiederholte er. »Delray hatte Angst, daß Carl hierherkommen würde. Ich vermute, das ist ein Grund, warum er mich eingestellt hat. Als zusätzlicher Schutz. Er würde Sie und David außer Gefahr wissen wollen. Ich vertrete ihn nur, indem ich Ihnen das sage, was meiner Überzeugung nach Delray selbst Ihnen raten
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