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Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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es den Weihnachtsmann nicht gibt, dann musst du auf dieser Stufe stehen bleiben, zusehen, wie du Spucke in deinen strohtrockenen Mund bekommst, dich davon überzeugen, dass du dir nicht in die Hose machen wirst, und dich selbst dazu überreden, mutig zu sein.
    Iris’ wortloser Gesang führte Winny schließlich von der Treppe in das Zimmer darunter. Zusätzlich zu den Dingen, die er bisher schon aus dieser melodischen, aber schaurigen Stimme herausgehört hatte – das Klagelied eines toten Mädchens mit Erde zwischen den Zähnen, die Sehnsucht einer Bauchrednerpuppe mit Messern in den Händen –, entdeckte Winny jetzt Melancholie und einen Ton, der fast schon Verzweiflung war. Er war es Iris schuldig, dass er sich einen Ruck gab und es tat. Er wusste nicht so recht, warum er es ihr schuldig war, aber dass es so war, wusste er. Vielleicht lag es daran, dass sie die beiden einzigen Kinder in diesem ganzen Schlamassel waren.
    Mondlicht fiel durch die hohen Fenster und war hier viel heller als die schimmernden Pilze. Seine Mom hatte einen richtig tollen Song über den Mondschein geschrieben, aber Winny hatte nie wirklich zugeben können, wie sehr er ihn mochte, weil es im Grunde genommen ein Song für Mädchen war. Der Mondschein im Text seiner Mom war viel, viel hübscher als dieses Zeug hier, dieses kalte Spätherbstlicht, zu dem die Skelette in verlassenen Biologielaboren tanzen wollten und das Dinge aus Mausoleen hervorlockte, damit sie auf der Suche nach jungen Liebespaaren, die taten, was junge Liebespaare in geparkten Autos so tun, auf den Friedhofsstraßen herumschlichen.
    Der Schatten flog. Er stieß herab und Winny duckte sich. Die Flügel waren lautlos und versetzten die Luft nicht in Bewegung, und Winny begriff fast so schnell, wie Jim Nightshade es begriffen hätte, dass dieses Ding im Zimmer nur ein Schatten war und dass sich das eigentliche Geschehen draußen vor den Fenstern abspielte. Dort draußen in dieser Zukunftswelt, die kein Land war, das sie jemals in einem Disneypark nachbauen würden, kam ein Ding, das so groß wie ein Trampolin für den Hausgebrauch war, im Sturzflug vom Himmel herab und an dem Fenster vorbeigetaucht. Es hatte mehr von einem Teufelsrochen als von einem Vogel, denn es war ungefiedert und bleich und hatte einen langen Stachelschwanz.
    Winny stand da wie versteinert, vor Ehrfurcht erstarrt, weil das Ding für ein Geschöpf der Lüfte so riesig und so seltsam war. Er hätte fast glauben können, die Fenster seien die Wände eines riesigen Aquariums, in dem dieses Mantading vorbeischwamm und nicht flog. Es schwang sich in einem weiten Bogen in die Nacht auf und seine fleischigen Flügel waren so fließend, so geschmeidig, wie man sich eine Decke vorstellte, wenn man sie sich um die Schultern warf, durch die Wohnung rannte und so tat, als sei man Superman, was Winny schon lange nicht mehr getan hatte und auch nie mehr tun würde, seit ihm sein Vater samt Gefolge einen überraschenden Besuch abgestattet und ihn dabei ertappt hatte, woraufhin er ihn in den eineinhalb Tagen, die sich das Barnett-Bataillon bei ihnen rumtrieb, nur noch Clark Kent genannt hatte.
    Als der nächtliche Flieger wieder im Sturzflug an den Fenstern vorbeikam, diesmal wie eine 747, die waghalsig nah an einem Kontrollturm vorbeifliegt, konnte Winny deutlich sein Gesicht sehen, das zu bizarr und zu widerlich war, um es sich einzuprägen, falls er die Hoffnung nicht aufgeben wollte, jemals wieder zu schlafen. Sein Mund war kein Schlitz, sondern stattdessen rund und offen wie ein Abflussrohr, und die Zähne erinnerten ihn an die Greifer der Müllabfuhr. Das Auge auf dieser Seite des Mundes rollte herum wie das Glotzauge eines großen alten Froschs, der auf einem nahen Grashalm einen schmackhaften Schmetterling entdeckt, und Winny zweifelte nicht daran, dass das Ding ihn gesehen hatte und sich fragte, wie es an ihn herankommen könnte.
    Die Rahmen und Streben der hohen Sprossenfenster waren aus Bronze, aber vielleicht waren sie nach all den Jahren zerfressen und vielleicht würden sie nachgeben und ins Zimmer fallen, wenn etwas dagegenknallte, was nur groß genug war. Statt die Vertrauenswürdigkeit der Fenster zu bezeugen setzte Winny seinen Weg fort und folgte dem Gesang, der verklang und dann wieder anschwoll, verklang und anschwoll, bis er Iris fand.
    Das Mädchen war gar nicht der Ursprung des Gesangs.
    Das Zimmer schien ihr etwas vorzusingen.
    * * *

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