Nachtjaeger
klang weiterhin vorsichtig und leise, was ihm einen leichten Stich versetzte. Ihre schönen Gesichtszüge verhärteten sich zu einer Maske.
Sie sah ihn an, als ob er ein Fremder wäre.
Als ob er ihr Feind wäre.
Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt, ihre Finger unter dem Kaschmir gefunden, sie in seine Arme gezogen und seine Hände in ihrer kühlen Mähne vergraben. Aber er wusste, dass sie ihn zurückstoßen würde, weshalb er mit verkrampftem Magen sitzen blieb.
»Wenn du dich in Nebel verwandeln kannst, dann wirst du auch in der Lage sein, dich in einen Panther zu verwandeln«, sagte er. »Das sind wir. Das bist du.«
Diesmal blinzelte sie nicht einmal. Ihre Augen waren klar, dunkel und unergründlich. Ihr Blick wanderte einen Moment lang zu seinen Lippen, ehe sie wieder den Kopf wegdrehte, das Kinn hob und ihm das Profil zuwandte.
»Ein Panther«, sagte sie ausdruckslos.
»Ja.«
Einen Moment lang schwieg sie. Dann: »Eine Katze.«
»Ja, genau genommen schon. Eine Katze.«
Er hörte, wie sie die Luft ausstieß – ein Laut, der entweder amüsiert oder auch verächtlich gemeint sein konnte. Sie beobachtete, wie die Hitze des Tages die Luft über den Dächern der Stadt zu flimmernden Wellen formte. Sie rümpfte die Nase, als ob sie etwas Schlechtes gerochen hätte.
»Wunderbar. Und sonst?«
Leander lehnte sich in seinem Sessel zurück und überlegte, wie viel er ihr erzählen sollte. Vielleicht reagierte sie immer auf Stress, indem sie sich betont gelangweilt gab. Es konnte natürlich auch die Ruhe vor dem Sturm sein. Noch kannte er sie nicht gut genug, um das einschätzen zu können.
Ihm gefiel es gar nicht, dass er sie noch nicht gut genug kannte.
»Nicht irgendeine Katze, Jenna. Jedenfalls garantiert nicht die durchschnittliche Hauskatze. Du bist ein Raubtier, und zwar ein tödliches. Du hast die Geschwindigkeit und Wendigkeit aller Katzen, aber du bist viel schneller und viel stärker.«
Er beobachtete, wie das Licht mit den Konturen ihres Gesichts spielte, während er auf eine Reaktion wartete. Auf irgendeine Reaktion. Aber es kam keine.
»Du wirst in der Lage sein, in völliger Dunkelheit so gut zu sehen, als ob es taghell wäre. Du wirst eine geflüsterte Unterhaltung aus einem Kilometer Entfernung hören können, eine Woche vor einem Sturm diesen bereits riechen und alles um dich herum mit vollkommener Klarheit wahrnehmen. Du wirst mit der Natur auf einer Weise in Einklang sein wie sonst keine Kreatur auf dieser Welt.«
Während seiner Erklärung blieb sie undurchsichtig wie Sphinx – schön, kalt und regungslos.
Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Du wirst in der Lage sein, den Herzschlag der Erde zu vernehmen.«
Das zumindest schien zu ihr durchzudringen, wenn auch kaum. Ihre Lippen zuckten, und sie holte tief Luft, um diese dann langsam durch die Nase wieder auszuatmen.
»Ich nehme an, dass du einige dieser Talente schon seit Jahren erahnt hast. Du musst gewusst haben, dass du anders bist«, fuhr er fort, während er sich fragte, wie es für sie gewesen war. Wie sie sich versteckt hatte, wie sie so getan hatte, als wäre sie nicht sie selbst, sondern wie die anderen Menschen um sie herum, auch wenn sie viel mehr gewesen war.
Er stellte sich vor, wie er ein Leben unter diesen idiotischen Menschen verbracht hätte, und es lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken.
Er beugte sich auf seinem Sessel vor und stützte die Ellenbogen auf die Schenkel. »Nachdem du dich jetzt in Nebel verwandelt hast, werden diese Begabungen immer stärker hervortreten. Und sobald du dich in einen Panther verwandelst, werden dich die Empfindungen und Eindrücke beinahe überwältigen. Um weiterzukommen, um zu überleben«, betonte er, »musst du lernen, diese Gefühle zu kontrollieren.«
Er musterte ihr Gesicht. Jenna saß noch immer stumm und ausdruckslos da. Es war ausgesprochen verunsichernd.
»Jeder, der sich verwandeln kann, hat außerdem Talente, die nur er – oder sie – besitzt. Diese können unterschiedlich stark ausfallen. Du kannst zum Beispiel offensichtlich Gedanken lesen, indem du jemanden berührst. Falls es noch etwas anderes gibt, wozu du in der Lage bist, wird sich das zeigen, sobald die Zeit dafür kommt.«
»Und du?«, fragte sie kaum hörbar.
Ihre Haare schimmerten golden und honigfarben und tauchten ihre cremefarbene Haut in ein warmes Licht. Ihr Gesicht leuchtete so hell, dass er beinahe glaubte, von ihr geblendet zu werden. Doch in ihren Augen zeigte sich keine
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