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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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anderes als aufgeblasene Idioten, begeistert vom Klang ihrer eigenen Stimme und sich ihrer Position und Autorität viel zu sicher, um noch Mitgefühl oder Wehmut zu zeigen. Sie taten nur das, was ihnen selbst nutzte, sie handelten nur nach ihrem eigenen Gusto und um ihre Stellung zu sichern.
    Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Leander das Gefühl, dass sich dringend etwas ändern musste.
    »Das Gesetz«, sagte Jenna spöttisch. »Verstehe. Es gibt kein Entkommen vor dem tödlichen Griff Ihres perfekten, wunderbaren, barbarischen Gesetztes.«
    Sie musterte die Männer mit frostigem Blick. Dann wanderten ihre Augen durch den Raum zu Leander.
    Sogleich schien die aufgesetzte Lässigkeit aus ihrer Miene zu verschwinden. Sie wirkte jetzt offen und entblößt, als ob die Schichten einer Zwiebel entfernt worden wären und nur noch das weiche Innere übrig war. Ihre Augen schimmerten klar und hell, und das Lächeln auf ihren Lippen wirkte fast melancholisch. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Beinahe tun Sie mir leid. Sie wissen gar nicht, was Ihnen fehlt. Sie wissen nicht, wie wunderbar es ist, frei zu sein.«
    Aus einer anderen dunklen Ecke des Zimmers war ein Lachen zu vernehmen. Leander wusste, dass es Morgan war. Dazu musste er sich gar nicht erst umdrehen.
    »Leander hat dem Rat erzählt, dass Sie sich vor Ihrem Geburtstag verwandelt haben, Lady Jenna«, erklärte jemand mit scharfer Stimme, ohne weiter auf das leise Lachen von Morgan zu achten.
    Leanders Blick wanderte zu dem Besitzer der mit starkem Akzent sprechenden Stimme.
    Sie gehörte Durga, dem Baron Bhojak, Alpha aus Nepal.
    Er saß vor Jenna in der Mitte des Tisches, die Hände über seinen großen Bauch gefaltet. Die Beine hatte er ausgestreckt, und seine ganze Haltung strahlte betonte Langeweile aus. Leander wusste, dass der Eindruck täuschte. Durga stand im Ruf, seine Kolonie mit eiserner Faust zu regieren. Er war altmodisch, ein extremer Hardliner und Purist. Für ihn galt allein das Gesetz.
    »Hat er das?«, murmelte Jenna, die Leander noch immer mit diesen glitzernden Augen ansah. Ein Beben durchlief ihn. Sie wissen gar nicht, was Ihnen fehlt …
    »Ja, das hat er. Das ist … ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich. Sogar kaum zu glauben.« Durga strich ein unsichtbares Staubkorn vom Kragen seines schwarzen Smokings und hielt den Blick gesenkt, während er weitersprach. »Ich zumindest kann mich an keinen einzigen vergleichbaren Vorfall erinnern. Ich habe noch nie von einem Halbblut gehört, das sich vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag verwandelt hätte.«
    In seiner Stimme schwang eine offene Provokation mit. Leander beobachtete, wie Jennas Blick zu Durga wanderte und sie den Kopf neigte, um ihn schweigend zu mustern. Alejandro saß in einem Stuhl, der in seine Richtung gedreht war. Selbst am anderen Ende des Zimmers spürte Leander das Verlangen, das dieser Mann ausstrahlte. Er vermochte nicht, Jenna aus den Augen zu lassen. Sie wanderten ununterbrochen ihren Körper auf und ab. Er starrte sie mit geschürzten Lippen und gerunzelter Stirn an, als ob er versuchen würde, eine besonders schwierige Gleichung zu lösen.
    Leander stieß sich von der Wand ab und öffnete die Fäuste. Seine Lungen fühlten sich so an, als ob sie von einem Stahlband umgeben wären, das es schwer für ihn machte, Luft zu holen.
    »Hm«, sagte Jenna leichthin und strich sich die Haare mit einer anmutigen, weiblichen Geste aus dem Gesicht. »Es war nicht das erste Mal.«
    Leander vergaß Alejandro für einen Moment komplett. Verblüfft blinzelte er.
    Es war nicht das erste Mal?
    Keiner bewegte sich. Die Stille dröhnte in Leanders Ohren.
    »Das erste Mal geschah es, als ich noch ein Kind war. Und es gab andere Male. Allerdings schon seit vielen Jahren nicht mehr. Ich habe sehr gut aufgepasst, dass es nicht passiert …« Sie brach ab, und ihr Blick wanderte in seine Richtung. Auf ihren Wangen zeigte sich eine leichte Rötung.
    Leander war der Erste, der sich wieder fing. »Wie alt warst du beim ersten Mal?«, fragte er in die Stille hinein.
    »Zehn«, sagte sie mit unsicherer Stimme. Sie räusperte sich. »Ich war zehn. Es war der Tag, an dem mein Vater verschwand.«
    Man hörte keinen einzigen Laut im Salon. Alle hielten den Atem an.
    Zehn.
    Leander merkte, wie ihm fast schwindlig wurde. Er hatte sich das erste Mal mit elf verwandelt und war damit der jüngste seiner Altersgenossen, ja, der jüngste seiner ganzen Kolonie gewesen. Niemand, den er kannte, hatte

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