Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
Nutella halbwegs gleichmäßig zu verteilen.
»Was hast du heute vor?«, erkundigte sich Florian, als Anja zwei dampfende Tassen Kaffee auf den Tisch stellte und sich ihm gegenüber hinsetzte.
Sie nahm einen Schluck, sah ihn an und antwortete: »Ich muss erst in meine Wohnung, einige Dinge holen und dann will ich noch meine Mutter besuchen. Langsam müsste es ihr eigentlich wieder besser gehen.«
»Das heißt, wir hätten dann mehr Zeit und müssten nicht mehr so aufpassen?«, warf Florian mit einem süffisanten Grinsen und einem Seitenblick zu Gerald ein.
Anja zog gespielt empört eine Augenbraue hoch, musste allerdings selbst lächeln und erwiderte: »Wieso, was hast du denn vor?« Da Florian wegen Gerald nicht antworten konnte, ließ er seinen Blick zu dem V-Ausschnitt ihres Oberteiles wandern, sagte aber: »Oh, nichts weiter, nur laut singen.«
Anja lachte, wurde anschließend etwas ernster und fragte: »Bist du heute in der Klinik? Vielleicht könnten wir uns dort treffen, wenn ich sie besuche?«
»Bin ich ...«, dann musste Florian erneut grinsen, »... zurzeit stehen auch einige Zimmer leer.« Anja warf ein Zuckerstück nach ihm, stand auf und packte Geralds Tasche. Anschließend half sie ihrem Bruder beim Anziehen und sah ihm hinterher, bis er in den Bus der Behindertenwerkstatt gestiegen war. Florian war hinter sie an die offene Tür getreten, schlang seine Arme um sie herum und flüsterte leise: »Das war sehr schön heute Morgen ... schade, dass ich auch losmuss.«
Sie drehte sich zu ihm um, gab ihm einen Kuss und erwiderte sehr ernst: »Dann sei bitte immer ehrlich zu mir.« Florian wollte etwas erwidern, doch sie drückte ihm ihren Finger auf die Lippen und fügte hinzu: »Das war keine Anspielung auf irgendetwas, das war nur eine Bitte.«
Zehn Minuten später sah sie auch ihm hinterher, schloss die Haustür und ging nach oben, um ihre Schmutzwäsche einzupacken.
19
Mit etwas Rennen schaffte Anja den Bus, der kurz vor halb neun fuhr, und öffnete eine dreiviertel Stunde später die Tür zu ihrem Wohnhaus. Um diese Zeit herrschte ein reges Kommen und Gehen in der Wohnanlage und da sie heute ziemlich entspannt war, dachte sie nicht mehr an irgendwelche Männer, die sie verfolgen könnten.
Vor ihr öffnete sich der Fahrstuhl, zwei Studentinnen stiegen grüßend aus, Anja stieg ein und drückte auf die abgegriffene Taste mit der Nummer 7. Nach einer kurzen Fahrt glitten die Türen wieder auseinander und Anja betrat den langen Flur, an dessen Ende sich ihre Wohnungstür befand. Schon von weitem sah sie, dass etwas auf dem Fußabstreifer lag, dachte sich aber nichts dabei, da hier oft Werbeflyer einfach vor die Türen geworfen wurden. Erst als sie schon fast ihre Tür erreicht hatte, erkannte sie, dass es sich um keine Werbung, sondern um eine fein säuberlich zusammengerollte Zeitung handelte. Etwas irritiert, aber noch immer an nichts Schlimmes denkend, stellte sie ihre Sporttasche auf den Boden, schloss die Tür auf und nahm anschließend Tasche und Zeitungsrolle mit hinein.
Ihre kleine Wohnung war noch so, wie sie sie vor ein paar Tagen das letzte Mal verlassen hatte, brauchte aber dringend eine Lüftung. Sie öffnete die Fenster, warf die erste Ladung Schmutzwäsche in die Maschine und kochte sich noch nebenbei einen Kaffee. Anschließend setzte sie sich an den winzigen Esstisch und zündete sich eine Zigarette an, wobei ihr auffiel, dass sie in letzter Zeit ziemlich viel rauchte. Unschlüssig, was sie nun tun sollte, fiel ihr Blick auf die Zeitung. Sie nahm die Rolle, machte den Haushaltsgummi ab und entfaltete sie.
Über dem Bild einer nicht sehr alten, irgendwie unscheinbaren Frau stand in dicken Buchstaben »Straubinger Tagblatt«, was Anja stutzig machte, aber ihre Neugierde befeuerte. Wozu sollte man hier in Erlangen Probeexemplare einer Straubinger Zeitung verteilen?
Ihr Blick rutschte unter das Bild, wo sich die Überschrift der Schlagzeile befand, die lautete: »Erfolgreiche Psychiaterin tot in Badewanne gefunden – war es Mord oder Selbstmord?« Anja überflog den nicht sehr ausgiebigen Artikel, an dessen Ende stand, dass der Reporter dieser Zeitung kurz vor Redaktionsschluss einen Tipp bekommen hatte und die Frau nur deshalb so schnell gefunden wurde. Die Psychiaterin starb offenbar erst, als der Notarzt schon bei ihr war. Über die genauen Umstände und neuesten Erkenntnisse wolle man in der nächsten Ausgabe berichten, da sonst keine Zeit mehr geblieben wäre, um die Zeitung
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