Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
rechtzeitig zu drucken.
Anja blätterte weiter, fand aber wenig Interessantes, da sich die meisten Inhalte auf die Region Niederbayern bezogen. Anschließend legte sie die Blätter beiseite, nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und trank einen Schluck Kaffee. Im selben Augenblick, in dem sie ihre Tasse wieder abstellte, begann ihr Telefon die Melodie zu spielen, welche sie für unbekannte Rufnummern eingestellt hatte. Noch immer ziemlich entspannt, drehte sie sich um, nahm das Gerät aus seiner Basisstation und meldete sich förmlich mit »Anja Lange«.
Es genügten die ersten Worte des Mannes, um ihr die Bedrohung wieder vor Augen zu führen. Wie in Trance hörte sie seine fröhliche Stimme sagen: »Aber mein Schatz, ich weiß doch, dass du Anja heißt.« Dann folgte etwas, was sie nicht sofort begriff, was ihr dann aber schlagartig zeigte, in welcher Gefahr sie sich befand. Unvermindert freundlich fügte er hinzu: »Ich wollte dich erst deinen Kaffee und die Zigarette genießen lassen. Nichts soll dich von mir ablenken.« Anjas Körper erstarrte und für einen Augenblick überlegte sie, sich unter dem Tisch zu verstecken. Wie konnte es sein, dass dieser Irre sah, was sie gerade tat? Anja versuchte sich zur Ruhe zu zwingen und unauffällig nach draußen zu blicken. Die umliegenden Hochhäuser standen in jedem Fall nahe genug, um sie mit einem Feldstecher beobachten zu können. Wütend schrie sie: »Du hältst dich wohl für besonders schlau!«
Das Telefon noch immer an ihr Ohr haltend, stand sie auf, schloss das große Wohnzimmerfenster und zog die dichte Gardine davor, dann sagte sie zynisch: »Ohhh, bist du jetzt blind?«
Die Antwort kam ohne jede Veränderung in der Stimmlage: »Das war eine gute Idee. Ich hoffe, du fühlst dich jetzt besser mein Schatz.«
»Dein Schatz legt jetzt auf und geht nie mehr ans Telefon«, keifte Anja zurück, wartete aber aus irgendeinem Grund noch seine Reaktion ab. Fast glaubte sie, ein Kopfschütteln zu hören, als er sagte: »Da möchte ich dir endlich die Chance geben, mir ein Stück näher zu kommen, und du sagst so etwas. Eigentlich rufe ich dich nur an, um mich mit dir über diesen Zeitungsartikel zu unterhalten. Ich dachte, dass es dich als angehende Medizinerin vielleicht interessiert, wie sich ein Mensch fühlt, wenn er langsam ausblutet.«
Es dauerte zwei, drei Sekunden, dann erkannte Anja ihre Chance. Wenn sie der Polizei Insiderwissen präsentieren konnte, würde sie selbst dieser alte ignorante Streifenpolizist ernster nehmen. Sie führte das Telefon zurück ans Ohr und versuchte möglichst genervt zu klingen: »Also, was willst du mir denn Tolles erzählen ... Arschloch?«
Nun hörte sie ihn wieder, diesen ernsten, bedrohlichen Unterton in seiner Stimme, als er sagte: »Anja, du solltest dich zügeln. Ich fürchte, du unterschätzt mich noch immer. Das in dem Drogeriemarkt war eine Sache – seine Freunde und die Familie zu verlieren ist eine ganz andere.« Nun schwoll seine Stimme an: »Und glaube mir, ich kenne jeden Einzelnen und mir ist es scheißegal, wen ich töten muss, damit du mich ernst nimmst!«
Trotz der nun eingetretenen Stille schienen seine Worte nachzuhallen und irgendetwas sagte Anja, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelte. Nach einer kleinen Ewigkeit erklang ein Räuspern in der Leitung, dann folgte die emotionslos gesprochene Schilderung des letzten Abends, welche mit den Worten endete »Schade, dass ihr die Frau nicht in eure Gerichtsmedizin bekommt, sonst hättest du dir ansehen können, wie kunstvoll mein Zeichen ihre Brustwarzen ziert, es sind wirklich ungewöhnlich saubere Schnitte geworden. Und das, wenn man bedenkt, wie sie sich erst dagegen gesträubt hat. Ruhiger wurde sie erst, als ihr der langsame Blutverlust durch ihre offenen Pulsadern langsam die Kraft raubte.«. Bei seinem letzten Satz wurde sein Tonfall fast wieder fröhlich und nachdem er geendet hatte, beschlich Anja das Gefühl, er wartete nun auf ihren Beifall. Doch nach Beifall war ihr ganz und gar nicht zumute. Vielleicht lag es an der Art, wie detailliert er alles geschildert hatte. Bilder zogen in ihrem Kopf vorbei, ließen ihren Magen verkrampfen und erzeugten einen Reiz, den sie nicht mehr zurückhalten konnte. Auf halbem Weg zu ihrem Badezimmer ging es nicht mehr und sie erbrach sich lautlos auf einen kleinen Teppich, der dort lag. Kniend gab sie sich den Schüben hin und erst als ihr Magen restlos geleert war, schaffte sie es, sich aufzurappeln und
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