Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
die letzten Meter zu überwinden. Im Badezimmer würgte sie ein letztes Mal, dann drehte sie den Wasserhahn auf und schöpfte sich Minuten lang kaltes Wasser ins Gesicht. Mit dem Versuch, die Badewanne zu ignorieren, verließ sie das Bad wieder, drückte auf die rote Taste ihres Telefons und machte sich daran, den Teppich in eine große Tüte zu stopfen. Anschließend setzte sie sich an den Tisch, nahm ihre Hände vor das Gesicht und begann hemmungslos zu weinen.
Irgendwann stand sie kraftlos auf, holte die Visitenkarte der jungen Polizeibeamtin aus ihrem Geldbeutel und wählte deren Nummer.
20
Eine halbe Stunde nach ihrem Anruf stieg Anja in den Streifenwagen, der sie in nur fünf Minuten zu Erlangens Hauptwache brachte, wo sie bereits die junge Polizeibeamtin erwartete. Nach einer knappen Begrüßung betraten sie gemeinsam einen kleinen Raum, in dem sich nur ein Tisch mit vier Stühlen sowie ein kleines Mikrofon befand.
»Bitte, setzen Sie sich«, bot ihr die Beamtin an, bevor sie fragte: »Möchten Sie einen Kaffee? Wir müssen noch auf Kriminalkommissar Jänke warten, aber er müsste gleich hier sein.«
Anja lehnte ab, worauf die Beamtin trotzdem den Raum verließ und sie alleine mit ihren Gedanken zurückließ. Jänke, den Namen habe ich schon gehört , kam es Anja in den Sinn und nach kurzem Suchen in ihrer Tasche fand sie auch dessen Visitenkarte. Es war dieser Polizist, den sie am Vortag in der Gerichtsmedizin kennengelernt hatte und der ihr einen früheren Kollegen von sich empfohlen hatte. Noch bevor sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, öffnete sich die Tür und gleich drei Beamte betraten den Raum, wobei Jänke als Letzter eintrat und seine Augenbrauen nach oben zog, als er sie sah. Die beiden Streifenpolizisten, denen sie nun schon zum dritten Mal begegnete, nahmen links und rechts von ihr Platz. Jänke beugte sich über den Tisch, streckte ihr die Hand entgegen und fragte: »Ich hoffe, Ihnen und Ihrem Bruder geht es gut?«
Anja schaffte ein Lächeln, sagte aber: »Es geht so. Danke.« Nachdem sich auch Jänke gesetzt hatte, bat er Anja alles zu erzählen und sie schilderte die Ereignisse in der Wohnung. Anschließend zog sie die Rolle aus ihrer Umhängetasche und legte diese mit den Worten »Das ist die Zeitung, die vor meiner Wohnung lag.« auf den Tisch.
Der ältere Polizist zog fast augenblicklich eine Tüte aus seiner Tasche, umgriff die Zeitung damit und ließ sie in eine zweite Tüte fallen. Natürlich nicht ohne von oben herab festzustellen, dass das ein Beweismittel sei und man es deswegen nicht einfach in eine Tasche stecken durfte.
Jänke überging die Anspielung seines Kollegen, blickte Anja in die Augen und sah sie einfach nur prüfend an. Nach einigen Sekunden fühlte sich Anja wie eine Angeklagte und fragte etwas zu scharf: »Was ist?«
Jänke entspannte sich etwas, hielt aber den Blickkontakt aufrecht, als er erklärte: »Als meine Kollegin mich anrief ...«, er nickte leicht zu Polizeimeisterin Krause, »... habe ich mich natürlich bei den Straubinger Kollegen nach dem Fall erkundigt und mir auch diese Schlagzeile im Internet angesehen. Ihre Ausführungen bis dahin sind auch alle richtig, aber ...«, Jänke beugte sich etwas nach vorne und verschränkte dabei seine beiden Hände miteinander, »... aber dann wird es, vorsichtig gesagt, spekulativ. Das, was dieser angebliche Mann Ihnen erzählt hat, entspricht schlicht nicht der Wahrheit. Es gibt keine Wunden auf der Brust der Toten und bis jetzt ist noch nicht einmal bewiesen, dass es Mord war.«
»Aber ...« Irgendetwas stürzte in Anja zusammen. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, schien jede Kraft aus ihr zu entweichen. Die folgenden Worte hätte es nicht mehr gebraucht, sie wusste auch so, was hier gerade passierte. Trotzdem konnte es der ältere Polizist nicht lassen und mit triumphierender Stimme sagte er: »Frau Lange, Ihren ersten Anruf habe ich noch ernst genommen und wirklich geglaubt, dass jemand um Ihr Haus schleicht, aber so langsam begeben Sie sich auf dünnes Eis. Es gibt den Tatbestand der Irreführung und das, was Sie uns hier auftischen, geht stark in diese Richtung. Vielleicht befinden Sie sich in einer seelischen Krise und sollten einmal einen entsprechenden Arzt aufsuchen. Nichts von dem, was Sie uns erzählen, lässt sich beweisen oder begründen. Sie können diesen angeblichen Mann weder beschreiben noch irgendeinen Beweis für seine Existenz beibringen. Hinzu kommt dann noch Ihr Diebstahl in
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