Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
mattem Blick an, versuchte aber trotz ihrer Situation zu lächeln und sagte leise: »Anja, schön, dass du hier bist.«
Anja nahm die kalte Hand ihrer Mutter zwischen die ihren und fragte: »Wie geht es dir denn?«
Ihre Mutter versuchte zu schlucken, bat um einen Schluck Wasser und antwortete, nachdem sie mühsam einen Schluck getrunken hatte: »Es geht. Aber woher dieser Anfall gestern kam, kann ich mir wirklich nicht erklären. Die Schwester meinte, es wäre eine Allergie auf das Fertigessen, aber ich habe doch gar keine Allergien.« Anja spürte, wie der Kloß in ihrem Hals dicker wurde. Noch immer war sie nicht mit sich Reinen, wie viel sie ihrer Mutter erzählen sollte. Einerseits hätte sie ihre Lage sicher verstanden, andererseits hatte sie im Augenblick genug mit sich selbst zu tun und weitere Aufregungen konnten nur schaden. Anja beschloss für sich, noch so lange zu warten, bis es ihrer Mutter besser ging, daher sagte sie: »Allergien können sich entwickeln und auf einmal verträgt man Dinge nicht mehr, die einem vorher nichts ausgemacht haben. Wenn du wieder fit bist und ich wieder arbeite, kommst du einfach vorbei und wir testen das aus. Und bis dahin isst du nur noch, was das Krankenhaus dir gibt.«
Anjas Mutter war die veränderte Tonlage ihrer Tochter nicht entgangen. Irgendwie schaffte sie es, dass ihr Blick milder wurde, als sie sagte: »Ich weiß, dass du dir Vorwürfe machst, aber das musst du nicht. Du wolltest mir mit dem Essen eine Freude machen und konntest nicht wissen, was da alles drin ist.« Dass diese Aussage für Anja wie Hohn klang, konnte sie nicht wissen, aber richtig schwer wurde es für ihre Tochter, als sie begann nach Gerald zu fragen.
Nach zwei, drei Sätzen täuschte Anja vor, dringend auf die Toilette zu müssen, wo sie eine ganze Weile blieb. Nachdem sich ihre Nerven etwas beruhigt hatten, rettete die Visite des Stationsarztes die Situation und Anja konnte sich verabschieden. Sie gab ihrer Mutter noch einen Kuss, erinnerte sie daran, nichts anderes mehr zu essen, und verließ das Zimmer.
Da sie noch 20 Minuten Zeit hatte, bis Florian kommen wollte, verließ sie das Krankenhaus und rauchte eine Zigarette. Nachdem diese bereits zur Hälfte verglüht war, sah sie, wie ein Streifenwagen in die Einfahrt bog und auf einem Behindertenparkplatz hielt. Diese Deppen dürfen das natürlich , ging es ihr durch den Kopf und als die beiden Beamten ausstiegen, wurde war ihr sofort klar, was diese hier wollten. Den kleineren hätte sie nicht wiedererkannt, aber der etwas dickere Polizist war eindeutig der gleiche, der heute Morgen ihre Aussage über das Verschwinden ihres Bruders aufgenommen hatte.
Ohne lange darüber nachzudenken, stellte sich Anja den beiden in den Weg und fragte, ohne viel Erwartung in der Stimme: »Haben Sie Gerald schon gefunden?«
Die beiden brauchten einen Augenblick, um sie wiederzuerkennen, dann ergriff wieder der dicke Polizist das Wort: »Leider nein, Frau Lange, wir wollten eigentlich nur mit Ihrer Mutter sprechen.« Auf die Idee, dass so etwas passieren könnte, war Anja noch überhaupt nicht gekommen. Wahrheit oder Lüge, ging es ihr durch den Sinn. Sie entschloss sich zur Lüge und sagte traurig: »Den Weg können Sie sich sparen, ich war gerade oben. Sie ist nicht ansprechbar und wenn sie es wäre, würde sie das viel zu sehr aufregen.«
Der Beamte kniff ein wenig die Augen zusammen und fragte: »Hatten Sie nicht gesagt, dass Sie nur einen Bruch hatte und bald entlassen werden sollte?«
Innerlich fluchte Anja, schaffte es aber ihre Tonlage beizubehalten: »So war es auch, allerdings kam es gestern zu Komplikationen mit ihrem Kreislauf.« Fast erstaunt merkte sie, wie eine kleine Träne über ihre Wangen rollte, als sie kaum hörbar hinzufügte: »Sie wäre fast gestorben.«
»Das tut mir leid«, sagte der Beamte sichtbar betroffen und stellte mitfühlend fest: »Das ist sicher eine sehr schwere Zeit für Sie ... die Mutter im Krankenhaus und dann läuft auch noch Ihr Bruder davon. Wenn wir Ihnen irgendwie helfen können ...«
»Es geht schon«, presste Anja heraus, »finden Sie einfach nur Gerald.«
»Wir tun unser Bestes. Sämtliche Streifen halten ihre Augen offen«, versprach der Polizist. Anschließend verabschiedete sie sich und ging zurück zu ihrem Wagen. Anja atmete durch, zündete sich eine weitere Zigarette an und wählte Köstners Nummer. Nachdem sie ihm drei Mal versichert hatte, dass Florian bis zum nächsten Morgen bei ihr bleiben
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