Nachtklinge: Roman (German Edition)
Stadt vermuteten.
»Heute Nacht wird es dichten Nebel geben. Das solltest du nutzen.«
Tycho stieg in das bereitgestellte Boot. Die Worte der Dogaressa klangen in seinen Ohren, die Gewehrkugeln und die Waffe des mongolischen Geschützmeisters lagen schwer in seinen Händen, und Alexas Mahnung, das Schicksal Venedigs und das ihrer Nichte liege nun in seinen Händen, lastete schwer auf seinen Schultern. Er lauschte dem eintönigen Klatschen der Wellen an die Bordwand – wobei er jeden Gedanken an die Tiefe des Wassers unter ihm vermied – und sah Giulietta nachdenklich an.
Wusste sie tatsächlich, dass er ein Monster war?
»Ich habe Angst«, erwiderte sie gereizt, als er sie fragte, ob etwas nicht stimmte. »Außerdem starrst du mich an. Das muss einen ja nervös machen.«
In diesem Moment wachte Leo auf, und Giulietta musste ihn beruhigen, bis er erneut in Schlaf fiel. Der ganze Plan wäre beinahe gescheitert, weil sie darauf beharrt hatte, ihr Kind mitzunehmen. Wenn sie in Tychos Gegenwart sicherer sei, weil Venedig unter Beschuss geraten würde, gelte das allemal für ihren Sohn, hatte sie gesagt. Schließlich hatte Alexa nachgegeben.
Das Boot fuhr auf dem kürzesten Weg vom Palazzo Ducale bis zu den Fischerhütten am östlichen Ende von Giudecca, vorbei an der Insel Giorgio Maggiore. Das Boot war dafür ausgerüstet, die Fahrt halbwegs erträglich für Tycho zu machen. Dr. Crow hatte es damals bauen lassen, um Tycho in die Ca’ il Mauros zu bringen. Es bewegte sich ohne Ruder und Segel.
»Sobald ihr an Land seid«, hatte Alexa gesagt, »fährt das Boot ohne Steuermann zum südlichen Teil von Giudecca, in die Nähe des jüdischen Friedhofs. Andronikos wird spüren, dass etwas damit nicht stimmt. Das Boot wird ihn anlocken. Währenddessen überquerst du die Insel und überraschst ihn.«
»Was ist mit den Kriegshunden?«
»Töte zuerst Andronikos. Er ist weitaus gefährlicher.«
Als er an das Gespräch dachte, fragte sich Tycho, ob er auf den bevorstehenden Kampf vorbereitet war. Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Seine Liebste saß ihm mit verdrossener Miene gegenüber, Rosalie hockte stumm und verschlossen auf dem Boden des Boots.
»Warum bin ich hier? Sag mir den wahren Grund«, fragte Giulietta unvermittelt.
Damit du in Sicherheit bist,
wäre die richtige Antwort gewesen. Stattdessen erwiderte Tycho: »Du bist der Köder. Wir brauchen dich, um Andronikos und Nikolaos aus der Reserve zu locken.«
»Das würde Tante Alexa niemals zulassen.«
»Es war ihr Vorschlag.«
Giulietta wurde bleich. »Nicht Alonzos Idee?«
»Dein Onkel hat keine Ahnung davon.«
Über ihnen grollte Donner, und sie zogen unwillkürlich die Köpfe ein. Kurz danach klatschte es in der Nähe, als sei ein mächtiges Geschoss im Wasser gelandet. Weiteres Donnergrollen folgte, dann schlug eine zweite Kugel ins Wasser. Die Bombardierung der Serenissima hatte begonnen.
»Ich gehe an Deck«, erklärte er.
Giulietta nickte, schloss sich ihm aber nicht an, und Rosalie sah nicht einmal auf. Kalter Zorn flackerte in ihren Augen. Am Handgelenk trug sie das Armband, das Giulietta einst Eleanor geschenkt hatte, und sie trug noch immer das samtene Gewand ihrer toten Freundin.
An Deck angekommen, entdeckte Tycho A’rial auf einer Sandbank, die mit gebieterischer Geste den Nebel über die Lagune wallen ließ. Kurz darauf war sie verschwunden.
»Ich glaube, du solltest wieder nach unten gehen.«
Rosalie stand hinter ihm.
»Giulietta weint. Sie hat Angst um Leo.«
»Und du hast keine Angst?«, fragte Tycho, obgleich er die Antwort schon kannte. Rosalie hatte keine Angst. Sie war zornig.
»Du bist hier, weil du in meiner Nähe am sichersten bist.« Tycho zog die Schultern hoch. »Das ist die Wahrheit, ich hätte das vorhin schon sagen sollen. Ich habe Alexa vorgeschlagen, dass Rosalie deine Kleider anzieht, aber sie meinte, du seist bei mir am sichersten.«
»Und was ist mit Leo?«
»Ich beschütze euch beide.«
»Das ist keine Antwort.«
»Was sonst soll ich der Frau sagen, die ich liebe?«
Sie schluchzte eine Weile in seinen Armen und erklärte dann unwirsch, sie wisse überhaupt nicht, warum sie weine. Sie trocknete sich das Gesicht und richtete sich auf. Ihre Miene verriet, dass ihr etwas eingefallen war.
»Ich glaube, dass meine Tante mich liebt, obwohl sie es niemals über sich bringen würde, mir das zu sagen. Leopold hat mich nur gern gehabt. Der einzige Mensch, der mir je gesagt hat, dass er mich liebt, war
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