Nachtklinge: Roman (German Edition)
kniff die Lippen zusammen. Sein Haar und sein Bart mochten grau sein, aber sein Temperament war ungezügelt wie in jüngeren Jahren, das wusste Alexa genau. Er unterdrückte seinen Ärger.
»Das sehe ich. Ich will wissen, warum du auf mich wartest.«
»Äh … gewiss.«
Provozierte Iacopo ihn absichtlich?
»Heraus mit der Sprache!«
Iacopo wich erschrocken zurück und wäre um ein Haar in den Kanal gefallen. Einen Moment lang sah er wieder aus wie das verwahrloste Waisenkind, das Atilo einst bei sich aufgenommen hatte.
»Graf, ich weiß kaum, wie …«
»Komm zur Sache.«
»Es geht um Gräfin Desdaio. Beim letzten Mal …«
Atilo erstarrte. Iacopo hatte ihm schon einmal ungebeten Beobachtungen über die künftige Herrin der Ca’ il Mauros zugetragen. Er hatte den jungen Mann beinahe umgebracht. Es kam durchaus vor, dass Patrizier ihre Diener töteten, wenn sie in Rage gerieten, aber dafür war Atilo zu stolz. Nur deswegen war Iacopo noch am Leben.
Was vermutlich keinem der beiden klar war,
dachte Alexa.
Atilo war es auch nie in den Sinn gekommen, Alexa könne sich daran stören, dass er Desdaios Ehre schützte. Er ahnte auch nicht, wie maßlos es sie erzürnt hatte, als er Desdaio gegen den erklärten Willen des Rates nach Zypern mitgenommen hatte. Falls sie nicht dringend Verbündete benötigte, würde sie ihn nie wieder in ihr Bett lassen.
»Pass auf, was du sagst, Iacopo«, knurrte Atilo.
»Graf, ich würde es niemals wagen, Euch eine Lüge zu erzählen.« Damit zog Iacopo das Taschentuch aus seiner Tasche und überreichte es stumm. Seine Lippen bebten, als kämpfte er mit den Tränen.
»Was ist das?«
»Ihr müsst es bei Licht ansehen, Graf.«
Doch Atilo befühlte das Tuch: Maltesische Spitze, zwei ineinander verschlungene Initialen. Unwillkürlich schnupperte er daran.
»Lasst uns hineingehen, Graf.«
In der dunkel getäfelten Eingangshalle zündete Iacopo eine Lampe an. Der Rauch des Dochts stieg in langsamen Schlingen zur Decke auf. Die Ca’ il Mauros war erst kürzlich umgebaut worden und vermittelte nun den Eindruck, der Maure entstamme einer alteingesessenen venezianischen Familie. Alexa wusste, dass er nicht zuletzt aus Eitelkeit in ihr Bett gekommen war. Er wollte einer der beiden Männer sein, die sie besessen hatten: Marco der Gerechte und … Atilo il Mauros, sein Admiral.
Im Kerzenlicht bestätigte sich nur, was Atilo schon gewusst hatte.
Bei den Initialen in der Ecke des Taschentuchs handelte es sich um ein D und ein B, und jemand, der so viele Menschen auf dem Gewissen hatte wie Atilo, erkannte Blut sofort. Die Ränder des Flecks trockneten bereits, das Innere war noch klebrig.
»Was soll das bedeuten?«
»Das Taschentuch gehört Gräfin Desdaio.«
»Ich weiß, ich habe es ihr selbst geschenkt. Ist ihr etwas zugestoßen?«
»Nein, sie ist in ihrem Zimmer und ruht.«
»Schläft sie nicht?«
»Ich habe ihre Schritte auf der Treppe gehört. Sie ging hinunter in die Küche … offenbar war sie hungrig.«
»Woher hast du dieses Tuch?«
Iacopo zögerte.
»Ich werde dich nicht bestrafen, weil du die Wahrheit sagst.«
»Beim letzten Mal habt Ihr mich bestraft.« Iacopos Stimme klang bitter. Er strich über seinen Bart, unter dem sich die Narbe verbarg. Später einmal würde ihn diese Narbe reifer wirken lassen, aber im Augenblick war die Erinnerung noch zu frisch.
»Willst du damit etwa andeuten …«
»Riecht noch einmal daran, Graf.«
Der Maure tat es und schloss die Augen. Mit düsterer Miene zählte er die verschiedenen Duftnoten auf, die seine feine Nase wahrnahm.
»Schweiß, Frauengeruch, Blut, Urin, Rosenwasser.«
Er blickte Iacopo forschend an.
»Du hast mir beim letzten Mal geschworen, dass du die Wahrheit sagst.«
»Auf Ehre und Gewissen.«
»Dann sprich.«
»Als ich heute Abend in Euer Haus kam, waren nur der kranke Pietro und die Köchin da. Wo Amelia steckt, weiß ich nicht.«
»Sie arbeitet.«
»Selbstverständlich, Graf. Die Gräfin war nicht zu Hause. Vermutlich hat sie kurz nach Euch das Haus verlassen. Sie war bei Herrn Tycho.«
»Woher wusstest du das?« Iacopo verdrehte die Augen, was seinem Herrn glücklicherweise entging.
»Es war nicht ihr erster Besuch.«
»Sondern?«
»Sie besucht ihn jedes Mal, wenn …«, Iacopo legte eine Kunstpause ein, als müsse er jedes Wort abwägen, »Ihr unerwartet in den Dogenpalast berufen werdet.«
Alexa zog überrascht eine Braue hoch.
»Willst du damit etwa andeuten, Gräfin Desdaio sei
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