Nachtklinge: Roman (German Edition)
Tür. Er will ihr etwas antun. Iacopo steckt dahinter, er hat ihn aufgehetzt. Ich muss unbedingt Herrn Tycho finden.«
Amelia kniff die Augen zusammen. »Was hat Tycho damit zu tun?« Ihre Finger bohrten sich in die Schultern des Jungen. »Los, erzähl schon.«
»Graf Atilo glaubt, Desdaio hätte ihn mit Tycho betrogen. Er ist außer sich vor Zorn. Er hat …«
Amelia wartete.
»Blut auf ihrem Taschentuch entdeckt«, beendete Pietro stockend.
»Heilige Mutter Gottes.« Amelia überzeugte sich mit einem Blick, dass Pietro die Wahrheit sprach, und ehe er es sich versah, ging es auch schon in atemberaubendem Tempo quer durch Dorsoduro nach San Polo. Sogar Alexa war beeindruckt. Das Mädchen kannte Gassen, von deren Existenz die Dogaressa nichts geahnt hatte, jagte durch
sottoportegi,
die einem dunklen Höllenschlund glichen, und trabte ungerührt über einen Platz, wo sich dunkle Gesellen der Nicoletti zusammengerottet hatten, die sich nach einem kurzen Blick auf das Mädchen abwandten.
Einige schlugen sogar das Kreuzzeichen.
Im Nu stand Amelia vor einer schwarz gestrichenen Tür. Ohne den Klopfer zu bemühen, trommelte sie mit der Faust dagegen. Es war offenbar ein Signal der Assassinen. Kurz darauf öffnete Tycho die Tür. Er war hellwach, angekleidet und bewaffnet. Hinter ihm war eine Dienerin auf der Treppe zu erkennen, die auf seinen Befehl hin augenblicklich verschwand.
»Lass mich herein«, befahl Amelia.
Plötzlich klopfte es an ihrer eigenen Tür, und Alexa zuckte erschrocken zusammen. Sie warf rasch ein Tuch über die Schale, obwohl sie als Einzige darin zu lesen verstand. Der Spion teilte ihr mit, dass Dr. Crow in seinem eigenen Bett liege und fest schlafe.
»Bring mir Feder, Tinte und Papier«, ordnete Alexa an. »Der Palastbote soll dem Alchemisten diese Nachricht sofort überbringen.«
Pietro vor sich her schiebend, trat Amelia in Tychos Haus. Sie sah sich um, sog die Luft ein wie ein Tier, das Witterung aufnahm. Ihre Lippen waren zusammengekniffen, und in ihren Augen lag ein seltsamer Ausdruck.
»Hast du’s mit Desdaio getrieben?«, fragte sie ohne Umschweife.
»Wie bitte?«
»Dachte ich mir schon. Zu mütterlich für deinen Geschmack. Was hast du dann mit ihr gemacht?«
Tycho starrte sie entgeistert an.
Ihm war, als würde er die Nubierin zum ersten Mal sehen, als sei er in einer Blase gefangen gewesen, in der die Zeit anders verstrich und Farben anders leuchteten. Über ihnen ertönte Lärm. Amelia und Pietro blickten auf. Das Geräusch nahm zu.
»Was ist das?«
»Sag mir erst, was das hier soll.«
Amelia berichtete kurz und knapp, was Pietro ihr gesagt hatte, und machte keinen Hehl daraus, wie wütend sie war. Amelia liebte ihre Herrin.
»Was hast du ihr angetan?«, forschte sie erneut.
»Nichts!«, blaffte Tycho gereizt.
Er führte Amelia in die Kammer, wo das gefesselte Mädchen auf dem Bett lag. Pietro, der ihnen folgte, blieb wie angewurzelt an der Türschwelle stehen.
»Wie hast du …«
Da lief Pietro auch schon durch das Zimmer, legte seine Arme um die Gefesselte und vergrub das Gesicht an ihrem Hals. Sie wandte den Kopf, öffnete gierig den Mund und hielt dann inne.
In ihren Augen blitzte ein Funken Bewusstsein auf.
»Danke«, stammelte der Junge. »Danke, danke!« Seine Stimme war von so großer Dankbarkeit durchdrungen, dass Tycho betreten den Blick senkte.
»Das ist meine Schwester«, erklärte Pietro der Nubierin.
»Deine Schwester ist tot.«
Der Junge zuckte die Achsel.
»Du hast diesem Ungeheuer Desdaios Blut gegeben?«
Pietro verstand offenbar nicht, was Amelia meinte, und das war Tycho nur recht. Er wusste nicht genau, wer Amelia war und was sie mit der Frage meinte. Jedenfalls war sie nicht von seiner Art, das hätte er gespürt. Er musste unbedingt darüber nachdenken, aber jetzt war nicht der richtige Moment. »Desdaio hat es selbst angeboten.«
»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Amelia und verdrehte die Augen.
Nein,
dachte Alexa erschrocken.
So dumm darfst du einfach nicht sein.
Mit zitternden Fingern drehte Desdaio den Schlüssel, bis sich das Schloss mit einem endgültigen, schicksalsträchtigen Klicken öffnete. Ein Geräusch, das nur ihrer Phantasie entsprang, wie Alexa wusste.
Auf Desdaios Miene waren viele Fragen zu lesen. Wie hatte sie glauben können, in diesem Haus glücklich zu werden? Hatte sie wirklich gedacht, sie könne je dem goldenen Käfig ihres Lebens entrinnen?
»Die Tür ist offen, Graf Atilo.«
Ungläubig
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