Nachtklinge: Roman (German Edition)
verwandelte sich in eine Maske. »So war das nicht.«
»Genau so war es immer mit Euch. Außerdem habt Ihr nicht nur die Frau ermordet, die Ihr liebt, sondern Ihr habt zugleich den einzigen Menschen in Venedig getötet, der Euch aufrichtig geliebt hat.«
»Iacopo hat gesagt …«
»Iacopo lügt, sobald er den Mund aufmacht.«
Atilo wehrte Tychos Hieb nicht ab. Als die Klinge in die Brust des Mauren fuhr und dort stecken blieb, murmelte Atilo: »Bring es zu Ende.
Man muss alles zu Ende bringen.«
Da durchschnitt Tycho ihm das Herz. Obwohl sie beide wussten, dass es schon gebrochen war.
Pietro schluchzte herzzerreißend, während Iacopo jämmerlich um Gnade winselte.
»Bring den verfluchten Mistkerl zum Schweigen.«
Amelias Messer an Iacopos Kehle erwies sich als äußerst wirkungsvoll. »Ein Wort genügt«, sagte sie zu Tycho. »Ich werde mit Freuden gehorchen.«
An einem einzigen Tag hatte Pietro seine Schwester wiedergefunden und verlor nun eine Frau, die wie eine Mutter zu ihm gewesen war. Er kniete neben ihr und sah so elend aus, dass selbst die sterbende Desdaio den Blick abwandte.
»Bitte«, bettelte Pietro, »helft ihr doch!«
Als Tycho niederkniete, versuchte Desdaio an ihm vorbei auf Atilo zu blicken, der am Boden lag. Eine einsame Träne mischte sich mit den Blutstropfen an ihrer Lippe. Tycho strich mit dem Finger darüber und seine Kehle schnürte sich zusammen.
»Ich kann Euch retten.«
»Durch Magie?« Desdaio konnte kaum sprechen, aber Tycho hatte die Frage genau verstanden.
Er nickte.
»Der Preis ist zu hoch.«
»Desdaio …«
»Wie soll ich sonst Atilo wiedersehen?«
Tycho berührte sanft ihre Schläfe. Ihr Schmerz strömte in ihn wie Wasser in einen leeren Krug. Die Angst wich aus ihrem Blick, ihre Lippen hörten auf zu zittern. Das Blut aus der Wunde sickerte langsamer, bis es beinahe versiegte. Er ließ sie los. Die Gier drohte ihn fast zu übermannen, sein Kiefer schmerzte, als die Reißzähne sich hindurchbohren wollten.
Am meisten jedoch schmerzten seine Tränen.
»Du stirbst als Nächster«, sagte Tycho und richtete den Blick auf Iacopo. Er wusste, dass es ihm keine Genugtuung verschaffen oder seinen Schmerz lindern würde.
Er nickte Amelia zu, die zurücktrat und ihren Dolch in die Scheide zurückschob. Iacopos furchtsamer Blick verriet, dass er wusste, was ihm bevorstand. »Du wirst doch keinen wehrlosen Mann umbringen!«
»Gib ihm seinen Dolch.«
Grummelnd gehorchte Amelia. Sie hatte Iacopo entwaffnet und damit auch das Recht, ihn zu töten.
»Du schuldest mir einen Tod«, erklärte sie.
Tycho hatte die Situation mit einem Blick erfasst.
Die Personen im Zimmer waren in einem Kreis angeordnet, den er jetzt abschritt, ohne Iacopo aus den Augen zu lassen. Beide hatten die Waffen gezückt. Atilos und Desdaios Leichen lagen am oberen und unteren Ende des Kreises, während Pietro und Amelia sich an dessen Seiten gegenüberstanden.
Amelia stand zwischen Iacopo und der Tür und ehrte ihre tote Herrin mit leisem Trauergesang. Pietro hielt den Blick fest auf Tychos Klinge geheftet. Beide waren so versunken, dass sie nicht hörten, was Tycho vernahm: schwere Schritte auf der Treppe, dann drückte jemand die Türklinke herunter.
»Halt!«, blaffte eine Stimme.
Der Regent stand auf der Schwelle, ein nervöser Dr. Crow hinter ihm, gefolgt von Graf Roderigo, seinem halbmongolischen Wachtmeister Temujin und fünf Wachleuten der Zollbehörde. Der Regent hielt einen Brief in der Hand. Er ließ den Blick durch das Zimmer wandern, fluchte beim Anblick der toten Desdaio und sah etwas weniger finster drein, als er die Leiche von Atilo entdeckte.
»Meine Schwägerin hatte wieder einmal einen ihrer Träume.« Er hielt den Brief hoch. »Ihr Brief an Dr. Crow ist präzise und vieldeutig zugleich. Könnte mich vielleicht jemand aufklären, was hier vorgeht?«
»Mord, Durchlaucht«, sagte Iacopo mit eindringlicher Stimme. »Tycho hat seinen Lehrmeister und dessen Geliebte ermordet. Er gehört vor Gericht.«
»Das ist eine Lüge«, protestierte Pietro.
»Das Balg hier ist sein Lustknabe und die da«, Iacopo deutete mit dem Kinn auf Amelia, »seine Hure. Sie sagen nur, was er ihnen befiehlt. Seht selbst, Prinz, an seiner Klinge klebt Blut.«
»Du wirst sterben«, sagte Tycho. »Das schwöre ich.«
»Aber nicht hier und nicht jetzt«, bemerkte Alonzo. Auf sein Zeichen hin betraten Graf Roderigo und seine Leute den Raum und richteten ihre Bögen auf Tycho, Amelia und Pietro. »Hiermit
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