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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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sagen?«
    Die Hand des Prinzen lag auf der Millioni-Bibel. Die kostbare, illuminierte Handschrift war mit Blattgold geschmückt. Das schwere Buch lag auf einem vom Alter schwarz verfärbten Holzrahmen.
    »Das schwöre ich.«
    »Leg deine Hand auf diese Bibel und schwöre, dass du die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen wirst.«
    Iacopo gehorchte.
    Alexa beobachtete ihn so angespannt, dass sie sich unwillkürlich vorbeugte. Erst als sie Tychos Blick und oder vielleicht auch die verwunderte Miene ihres Schwagers bemerkte, nahm sie wieder ihre übliche, leicht gelangweilte Haltung ein.
    »Jetzt ist die Reihe an Tycho«, sagte sie.
    Alonzo hob die Hand. »Wir wissen nicht, ob er gläubig ist.«
    Alexa blickte Tycho an. »Nun?«
    »Nein, Dogaressa, ich bin nicht gläubig.«
    Die Mitglieder des Rates murrten leise.
    »Gräfin Desdaio hat versucht, mich in Glaubensfragen zu unterrichten, aber ich habe nicht alles verstanden. Immerhin habe ich die Bücher gelesen, die sie mir gab. Sie war fest entschlossen, das Thema zu vertiefen …«
    Einige Mienen hellten sich auf.
    »Halten wir uns nicht damit auf«, sagte Alonzo. »Iacopo hat geschworen, das sollte genügen.«
    »Durchlaucht.« Ein rundlicher Mann erhob sich.
    Desdaios Vater, Graf Bribanzo, war ein erfolgreicher Kaufmann, der nicht nur maßlos reich, sondern auch maßlos ehrgeizig war. Nun schien grenzenlose Trauer ihn zu erfüllen. »Beide sollen den Eid leisten. Wir müssen die Wahrheit ans Licht bringen.«
    Das Wort des Grafen hatte Gewicht, denn Alonzo schuldete ihm mehrere tausend Dukaten.
    »Graf Bribanzo hat recht«, erklärte Alexa. »Ich bestehe darauf.«
    »Worauf soll dein Getreuer denn schwören?«, erkundigte sich Alonzo.
    »Mein Getreuer?« Die Dogaressa warf Tycho einen Blick zu. Auf diese Frage musste er selbst die Antwort geben.
    »Bei dem, was mir das Liebste ist.«
    »Und was wäre das?«, erkundigte sich Alonzo.
    »Das kann ich nicht sagen.«
    Obwohl Alexas Gesicht unter dem Schleier verborgen war, hätte Tycho schwören können, dass sie ihn durchdringend musterte. »Wie viel bedeutet dir das, was dir das Liebste ist?«
    »Mehr als mein Leben.«
    Daraufhin schwor Tycho und trat zurück. Der Rat der Zehn bekam die widersprüchlichen Versionen zu hören, beide unter einem Eid geschworen, der die Seele ins Verderben stürzte. Sogar Alonzo sah milde entsetzt aus.
    »Einer von euch beiden ist verdammt.«
    Nein,
dachte Tycho.
Wir sind alle beide verdammt.
Er selbst war es seit jeher, und Iacopo hatte sich ihm nur angeschlossen.
    »Ihr Herren …«
    Dr. Crow wirkte in seiner angestaubten Kleidung wie ein Apotheker.
    »Vielleicht ist keiner der beiden verdammt.«
    »Aber das ist unmöglich.«
    »Kindischer Trotz hat sie dazu verführt, sich gegenseitig zu belasten. Beide haben ihre Unschuld beschworen, und das beweist, was der einfache Mann auf der Straße längst weiß. Diese ruchlose Tat wurde von Fremden begangen.«

36
    D er erste September – der Tag, an dem Graf Atilo zu Grabe getragen wurde – fiel auf einen Sonntag. Es war drückend heiß.
    Ein griechisches Kreuz bildete den Grundriss der Basilika San Marco. In der Mitte wölbte sich eine mächtige Kuppel, an den Kreuzarmen erhoben sich kleinere Kuppeln, allesamt mit biblischen Szenen und kostbarem Mosaik geschmückt.
    Die Menschen drängten sich in der Kirche, an den Türen und auf den Treppen. Alle, die nicht bedeutend genug für einen Platz in der Basilika waren, standen vor der Kirche. Die Wachen, die man postiert hatte, um für Ordnung zu sorgen, erwiesen sich als überflüssig. Die feierliche Trauerstimmung hatte sich auf alle Gemüter gelegt.
    Gebete wurden gesprochen und Psalmen gesungen.
    Der neue Patriarch sprach ausführlich über Atilos Leben und dessen Liebe zu seiner zweiten Heimat Venedig. Giulietta fand, dass er etwas zu rasch über Atilos junge Jahre hinwegging. Der Maure war seinerzeit einer der berüchtigtsten Piraten des Mittelmeers gewesen. Natürlich erwähnte der Patriarch auch Atilos Verdienste als Klinge des Dogen mit keinem Wort.
    Hätten die Fremden, die an den Feierlichkeiten teilnahmen, auch nur geahnt, wie schlecht es um die Klinge stand und dass noch nicht einmal ein Nachfolger ernannt worden war – was Giulietta eigentlich auch nicht wissen durfte –, hätten sie sofort dunkle Pläne geschmiedet, statt fromme Gesänge zu intonieren.
    Die einzigen Sitzplätze waren für die Familie des Dogen bestimmt, also für Giulietta selbst, Tante Alexa, Onkel Alonzo und

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