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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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Marco.
    Alle anderen – Adelige, Botschafter und sogar Gräfin Eleanor – mussten stehen. Die Luft war so schwer von Weihrauchschwaden und Körperausdünstungen, dass Giulietta fürchtete in Ohnmacht zu fallen, wenn sie sich erhob.
    Glücklicherweise war ihr Gesicht hinter dem schwarzen Witwenschleier verborgen. Onkel Alonzo in seinem scharlachroten Wams schwitzte wie ein Hafenarbeiter der Castellani. Vielen ging es ähnlich. Nur Tante Alexa wirkte kühl und unberührbar. Sie schien irgendetwas mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten.
    Giulietta warf einen kurzen Blick auf das Weihrauchgefäß hoch über den Köpfen der Trauergemeinde. Damals war Tycho wie eine Katze vom Balkon auf das Gefäß gesprungen und dann direkt vor ihren Füßen gelandet. Sie unterdrückte die Erinnerung daran.
    »Hi-Hinter dir«, flüsterte Marco. »Fünf Reihen weiter.«
    Für einen geistig Behinderten wusste Marco oft erstaunlich genau, was sie dachte. Abermals stieg ein Bild der Vergangenheit in ihr auf. Tycho zeichnete mit dem Finger die Spur eines Blutstropfens von ihrem Bauch bis zu ihrem Busen nach. Bei diesem Gedanken verging sie beinahe, mehr noch als bei der Erinnerung daran, wie er in einer heißen, zypriotischen Nacht vor ihr gekniet und ihr Gewand hochgeschoben hatte, während der Wind sie umtoste.
    Giulietta bemerkte Marcos Blick und lief rot an.
    Schluss jetzt!,
sagte sie streng zu sich selbst. Immerhin hatte eine ihrer Tanten mit sechzehn ein Königreich regiert und eine andere war im Kindbett gestorben, nachdem sie ihre Heimatstadt erfolgreich gegen Belagerer verteidigt hatte. Sie durfte nicht zulassen, dass dieser Junge, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, ihr ganzes Leben auf den Kopf stellte.
    Bis zu jenem Abend war ihr Leben erträglich gewesen.
    Nein.
Das war nicht wahr. Und nun blickte Tante Alexa sie ebenfalls an. Ihr Leben war nicht erträglich, sondern nur auf normale Weise unerträglich gewesen. Dann war ihr Tycho begegnet. Eine Träne rann ihr über die Wange.
    Nicht jetzt, nicht hier.
    Vor lauter Unglück hatte sie beim Eintreten nicht einmal die Madonnenstatue begrüßt. Das hatte sie noch nie vergessen.
    Die steinerne Mutter,
wie Tycho sie nannte.
    Arme umfassten sie. Giulietta wollte sich befreien und merkte dann, dass Marco sich erhoben hatte und der Gottesdienst unterbrochen worden war. Entsetzt sah sie, wie er sich über sie beugte. Er wischte ihr eine Träne ab und legte seine Stirn an ihre.
    »Es ist besser, töricht zu lieben als gar nicht.« Er ließ sie los und sagte zu seiner Mutter gewandt: »Ju-Julie ist traurig. Sie weint!«
    Alexa nickte.
    Alle hatten Giuliettas Trauer bemerkt.
    »Atilo hat ihr einen Bären geschnitzt, als sie klein war.« Giulietta nickte dankbar. Marco lieferte den perfekten Grund für ihre Tränen.
    »Setz dich wieder hin«, sagte Alexa, und Marco gehorchte.
     
    Der Gottesdienst in der überfüllten Basilika dauerte lange. Eigentlich war das Gotteshaus die Privatkapelle der Millioni und der Öffentlichkeit nur an hohen Feiertagen zugänglich. Graf Atilo war zwar kein Millioni, doch er hatte als Admiral der Mittelmeerflotte unter dem verstorbenen Dogen gedient.
    Da er keine Erben hatte, fiel sei gesamter Besitz an die Stadt. Der Regent hatte sich jedoch bereit erklärt, Graf Bribanzo alle Schatztruhen zurückzugeben, die nachweislich seiner Tochter gehört hatten.
    Desdaio wurde gemeinsam mit Graf Atilo zu Grabe getragen. Die beiden würden Seite an Seite unter den Mosaiken der Kuppel ruhen, näher, als sie einander zu Lebzeiten je gewesen waren, Hand in Hand in der Erde. Marco hatte befohlen, die Toten zu vermählen.
    Er ließ sich durch kein Argument des Patriarchen davon abbringen.
    Schließlich fügte sich der Geistliche dem Willen des Dogen, gegen den des Papstes. Letzterer unternahm gerade einen Versuch, das Schisma zu beenden, und es war unwahrscheinlich, dass es ihn kümmern würde, wenn zwei Leichen auf den Wunsch eines Geisteskranken miteinander vermählt wurden.
    Der Gottesdienst hatte Tycho den letzten Rest der schützenden Salbe gekostet. Was übrig blieb, reichte höchstens noch für einen oder zwei Tage. Er wusste genau, wie fremdartig er mit seiner geölten Seidenkleidung, dem schwarzen Leder und den geschwärzten Brillengläsern wirken musste.
    Atilos Tod allein wäre kein ausreichender Grund gewesen, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.
    Desdaio allerdings … mit ihr verhielt es sich anders. Sie hatte ihm ihre Freundschaft angeboten, als sich

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