Nachtkrieger: Ewige Begierde
unternehmen. Morgen früh ist alles geklärt, dann wirst auch du es erfahren.«
»Was erfahren?«
»Warum er immer wieder verschwindet«, sagte Ivetta lächelnd. »Hast du Hunger? Natürlich hast du Hunger. Jemand muss dem Jungen ein großes Stück Fleisch abschneiden. Ich muss mich für einen Moment zurückziehen.«
Sie entfernte sich, als ob sie auf dem Weg zum Abort wäre, doch sobald sie außer Sichtweite war, schlug sie eine andere Richtung ein und ging in den tiefen Wald hinein.
Sie fand ihren Körper dort, wo sie ihn hatte liegen lassen, gut versteckt zwischen den Brombeersträuchern, wo die Frau und Marian zuvor Beeren gesammelt hatten. Es war so einfach gewesen, aus einem Körper heraus- und in einen anderen hineinzuschlüpfen. Der Frau des Löwen war der Unterschied zwischen der einfachen Köhlerfrau und ihr nicht einmal aufgefallen.
Für Cwen selbst aber war es ein enormer Unterschied. Dieser Körper fühlte sich frisch, lebendig und wach an, so wie ihr eigener seit Jahren nicht mehr. Er pulsierte geradezu vor Lebensfreude und Lust, so dass Cwen in Versuchung geriet, ihn noch eine Weile zu behalten und die Nacht unter dem Mann dieser Frau zu verbringen, einfach, um endlich wieder in den Genuss eines Mannes zu kommen. Aber sie musste sich an Orte begeben, die alles andere als ein Köhlerlager waren, und noch war sie nicht sicher, wie lange sie die Gestalt eines anderen Menschen annehmen konnte. Sie wollte es nicht übertreiben, um am Ende doch noch erwischt zu werden.
Das war die Gabe, die die Old Ones ihr auf dem Grund des Teichs verliehen hatten: die Fähigkeit, sich den Körper eines anderen Menschen zu leihen. Sie hatte es bemerkt, sobald sie am Ufer des Teichs erwacht war, nachdem die Fluten sie ausgespien hatten, als sie mit ihr fertig gewesen waren und ihr wieder Leben eingehaucht hatten. Der bloße Gedanke an den kleinen grünen Frosch, der vorbeigehüpft war, hatte gereicht, und schon hatte sie sich in seinem Körper befunden und durch seine runden Augen ihre eigene Gestalt betrachtet, die zwischen den Schilfrohren riesig groß erschienen war. Angst hatte sie zu sich selbst zurückgetrieben, und der Frosch war unversehrt davongehüpft.
Es hatte Mut erfordert, es noch einmal zu versuchen – dieses Mal bei einem Vogel, dessen Flügelschlag ihr fremd vorgekommen war, wenngleich nicht so fremd wie die Möglichkeit, von Himmel herab auf ihre eigene leere Hülle zu blicken.
Nach einem kurzen Flug war sie zurückgekehrt und hatte dann ihre neue Fähigkeit an einigen weiteren Lebewesen erprobt, und mit jedem Mal war es ihr leichter gefallen, hinein- und wieder hinauszuschlüpfen. Auch ihre anderen Fähigkeiten hatte sie auf die Probe gestellt – die, über die sie früher verfügt hatte. Doch noch hatten sie sich nicht wieder eingestellt. Die Götter hatten es noch nicht für angebracht gehalten, ihr den Blitz zurückzugeben oder die Fähigkeit, zu Nebel zu werden, oder zeitlich Künftiges zu schauen. Im Moment jedoch war ihre neue Gabe gut und äußerst nützlich, und sie war sehr zufrieden damit. Sie würde den Göttern ein angemessenes Opfer darbringen, sobald sie eins gefunden hatte.
Sie zerrte ihre leblose Hülle zwischen den Sträuchern hervor und legte den Körper, den sie sich geborgt hatte, daneben. Mit einem einfachen Spruch schlüpfte sie zurück und setzte sich auf, um sich zu sammeln, bevor die Köhlerfrau wieder zu sich kam.
»Was?« Die Frau sah sich in alle Richtungen um, Verwirrung spiegelte sich in ihrem Blick. »Wer seid Ihr?«
»Priorin Celestria, mein Kind. Sicher erinnerst du dich an mich. Wir waren dabei, uns zu unterhalten, und plötzlich wurdest du ohnmächtig.«
»Ohnmächtig? Ich? Warum ist es so dunkel?«
»Es ist schon spät. Beinahe Zeit zum Abendessen.«
»Aber es … es war gerade erst Mittag. Ich habe Beeren gepflückt, mit Marian.«
»Du bist noch verwirrt von deiner Ohnmacht, mein Kind. Du warst mit anderen unterwegs, und du kamst hierher, um auszutreten, gerade erst vor einem Moment. Du hast eine falsche Abzweigung genommen, und so bist du hier gelandet. Lass mich dir helfen aufzustehen.«
»Habt Dank, ehrwürdige Mutter.« Die Frau schüttelte die Spinnweben ab und rappelte sich mit Cwens Hilfe mühsam auf. »Ich … ich muss wieder zurück.«
»Aye. Das musst du. Aber du darfst niemandem erzählen, was geschehen ist. Dein Mann und die anderen würden sich nur Sorgen machen. Es war ja nichts weiter. Und du möchtest doch nicht, dass sie sich
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