Nachtkrieger: Ewige Begierde
Eremit, wer immer er gewesen war, hatte eindeutig irgendwann in seinem Leben als Steinmetz gearbeitet, denn dort, wo kein Moos wuchs, sah man, dass die Steine so perfekt miteinander verbunden waren, dass nicht einmal ein hauchdünner Grashalm dazwischenpasste.
Sie betrat die Klause und breitete die Arme aus. Es war genug Platz, um den einen Arm ganz und den anderen nahezu ebenso weit auszustrecken. Ein paar Spinnweben hingen in den Ecken, aber ansonsten sah es für einen Ort, der schon so lange unbewohnt war, überraschend sauber aus, frei von Abfall und Ungeziefer, als sei vor nicht allzu vielen Jahren jemand dort gewesen.
Plötzlich nahm ein Schatten ihr das Licht, und als sie sich umdrehte, stand Steinarr in der Türöffnung, die Hände gegen die Laibungen gestemmt. Sie holte tief Luft, um sich zu wappnen, und gab sich einen Ruck. »Werden wir hier schlafen?«
Er blieb ungerührt stehen, und sie nahm seinen Zorn wahr. »
Wir?
Hast du nicht gehört, welches Versprechen dein Cousin mir abgerungen hat?«
»Er hatte nicht das Recht, so etwas zu fordern.«
»Und dennoch hat er es getan.« Steinarr ließ die Türlaibungen los und ging einen Schritt auf sie zu. »Das hast du sehr schlau eingefädelt, Matilda.«
»Eingefädelt?«
»Indem du ihn dazu gebracht hast, mich im Beisein von Ari und all der anderen danach zu fragen.«
»Ich konnte nichts dafür, Mylord. Ich sagte Euch doch, dass ich Robin nichts von unserer Abmachung erzählen würde, und das habe ich auch nicht getan.«
»Erwartest du etwa, dass ich glaube, der kleine
Askefise
sei selbst darauf gekommen?«
»Nennt ihn
nicht
so!«, gab sie entrüstet zurück.
Askefise. Jemand, der bei der Feuerstelle blieb, während die anderen in die Schlacht zogen.
Vater hatte dieses Wort wie eine Peitsche geschwungen, sich des englischen Ausdrucks bedient, um Robin, was seine Herkunft und seine Courage anging, zu beleidigen. »Bloß weil ein Mann liebenswürdig ist, muss er noch längst kein Feigling sein.«
»Ein Mann.«
Steinarrs Lippen kräuselten sich zu einem höhnischen Grinsen. »Er hat sich hinter den Büschen versteckt, als John Little umgebracht wurde.«
»Ich sagte Euch doch, John wollte, dass wir uns verstecken. Wir hatten ja keine Waffen.«
»Ein
Mann
wäre ihm zu Hilfe gekommen.«
»Um dabei ebenfalls umzukommen? Dann wäre ich den Vogelfreien auch noch in die Hände gefallen.«
»Stattdessen hat er zugelassen, dass du
mir
in die Hände fällst.« Er musterte sie von oben bis unten und zog sie mit Blicken aus, so schnell, so schonungslos, dass sie die Hände zu Fäusten ballen musste, um sich nicht vollkommen ausgeliefert zu fühlen.
Erhobenen Hauptes sah sie ihn an. »Dann nehmt mich, Mylord, so wie es abgemacht war. Ich entbinde Euch von dem Versprechen, das Ihr Robin gegeben habt.«
Sein Wechsel von Zorn zu Begierde und zu erneutem Zorn traf sie wie ein Hammerschlag und zog ihr nahezu den Boden unter den Füßen weg. »Ihr habt Glück, denn ich besitze mehr Ehre als er.«
Er drehte sich auf dem Absatz um, trat hinaus und ließ sie gefangen im Wirrwarr seiner Gefühle zurück. Dann war es also doch nicht
nur
Zorn. Diese unbändige, alles verzehrende Lust war noch immer da, stärker denn je, aber dermaßen durchwirkt von Wut, dass sie nicht hätte sagen können, wo das eine aufhörte und das andere begann.
»Komm raus!«, brüllte er.
Nun konnte sie es doch auseinanderhalten:
Das
war schiere Wut. Ach, zur Hölle mit ihm. Schließlich konnte sie nichts dafür, dass er sich von Robert hatte ausspielen lassen. Sie musste sich schwer zusammenreißen, bis sich ihre Gedanken klärten und sie aufhörte zu zittern.
Als sie hinaustrat, sah sie, dass er das Packpferd entlud und Bündel, Säcke und Fässer ordentlich unter dem Überhang aufstapelte. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand sie da und wartete darauf, dass er etwas sagte, er aber arbeitete schweigend weiter. Schließlich stellte sie sich ihm in den Weg, so dass er um sie herumgehen musste, um den Sattel des Packpferds neben den Stapel Gepäck zu legen. »Was wolltet Ihr, Mylord?«
»Feuerholz«, blaffte er sie an und drehte sich um, um den Sattel des Hengstes zu holen. »Und zwar reichlich. In den Wäldern hier wimmelt es von Wölfen.« Er warf den zweiten Sattel neben den ersten und ließ die beiden Satteldecken darauffallen. »Ich werde die Pferde tränken.«
Er band die Pferde los, und sie begann, Holz zu sammeln. Wieder einmal. Bei den Köhlern hatte Brennholzsammeln ebenfalls zu
Weitere Kostenlose Bücher