Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Könntet Ihr mir vielleicht auch einen Kamm besorgen?«
»Das kann ich ganz bestimmt. Dieser Moosteppich hier ist feucht. Gebt acht auf Eure Schritte.«
»Das tue ich immer, Monsire. «
Es war der schönste Anblick, der sich ihm je geboten hatte.
Gunnar hockte hinter einem Felsen am Talhang und beobachtete Eleanor von dort aus. Sie saß auf seinem dreibeinigen Schemel vor dem Eingang der Höhle, wie ein Umhang fiel ihr das schwarze Haar über die Schultern, und das rosige Licht des Abendrots mischte sich hinter ihr mit dem Schein des Feuers und ließ die Strähnen, die ihr Gesicht umrahmten, schimmern wie rötliche Bronze. Sie hatte einen Kamm aus Elfenbein in der Hand, den er noch nie gesehen hatte – wahrscheinlich gehörte er Ari, eitel, wie er war – und sie ließ ihn durch ihr Haar gleiten, sieben Streiche für jede Strähne, bevor sie sich der nächsten widmete.
Sieben. Sieben. Er zählte mit, und sein Puls verlangsamte sich, passte sich dem Rhythmus ihres Kamms an, gleichmäßig und stetig wie der Sprechgesang eines Mönchs. Sieben.
Sicher war ihr gar nicht bewusst, dass sie so von jemandem beobachtet wurde, ohne Kopfbedeckung und mit offenem Haar. Und sie hatte bis zur Abenddämmerung gewartet, denn sie konnte annehmen, dann eine Zeitlang allein zu sein. Aber der Stier hatte sich an diesem Tag nicht weit entfernt, und Gunnar hatte sich hastig seine Kleidung übergeworfen und war zurückgerannt, um schnellstmöglich nachzusehen, ob sie in Sicherheit und wohlauf war.
Als er dann stehen geblieben war, um das Gewand aufzuheben, das er zum Trocknen auf einem Felsen ausgebreitet hatte, hatte er gesehen, dass sie dort saß und sich das Haar kämmte. Bevor sie ihn bemerken konnte, hatte er sich hinter den Fels gehockt, um sie zu betrachten.
Und er war froh darüber. Sie hatte so zerbrechlich gewirkt in der vorigen Nacht, so verletzt, aber nun … Vielleicht war es dieses einfache Ritual, das ihr Kraft gab, jedenfalls schien sie ganz und gar nicht mehr verletzt. Traurig, ja natürlich, aber intakt, sowohl körperlich als auch seelisch, trotz Tunstall, dieses Mistkerls, und seiner Männer. Wut stieg in Gunnar auf, wenn er nur daran dachte, dass sie hätten Hand an sie legen können. Doch seine Wut war bald verraucht, während er zusah, wie sie weiter ihr Haar kämmte. Sieben. Sieben.
Schließlich war sie fertig und legte den Kamm weg, um sich das Haar zu flechten. Ihre Finger griffen nach den Strängen und flochten sie zu einem einfachen, schlichten Zopf, wie Frauen ihn des Öfteren trugen, die niemanden hatten, der ihnen beim Frisieren half. Sie band den Zopf an dessen Ende zu und ließ ihn über die Schulter fallen. Dann faltete sie die Hände in ihrem Schoß und wartete.
Auf ihn.
Wie oft hatte er sich vorgestellt, er würde den Pfad hinuntergehen und sie würde so dasitzen und auf ihn warten? Selbst nach Alnwick, selbst nachdem er gesehen hatte, wie zufrieden sie mit ihrem Ehemann wirkte, hatte ein Teil von ihm festgehalten an dem Traum, dass sie eines Tages zu ihm zurückkehren würde, dass sie mit ihm das Bett teilen würde – nicht nur aus Lust, sondern aus Liebe – und ihn schließlich heilen würde. Vielleicht war sie aus diesem Grund hier, flüsterte eine hoffnungsvolle Stimme in einem entlegenen Teil seines Bewusstseins, und der Gedanke daran, sich in ihr zur verlieren, ließ seine Männlichkeit augenblicklich anschwellen.
Mist. So konnte er auf keinen Fall zu ihr hinuntergehen, so erregt. Es war schon schwer genug gewesen, sie in den Armen zu halten, ohne mehr zu verlangen, und noch schwieriger, sie an diesem Morgen zu verlassen, aber nun … Nun wäre es ihm unmöglich, ihr überhaupt nahe zu kommen. Die reinste Qual. Er würde wohl noch eine Weile hier hocken bleiben müssen, um auf Brand und Torvald zu warten und gemeinsam mit ihnen den Hang hinunterzugehen. Sie konnten heute Nacht an seiner Stelle über sie wachen, und dann konnten Jafri und Ari sie am nächsten Tag in Sicherheit bringen. Er hätte ihnen auftragen sollen, sie noch heute zurückzubringen, so dass er sie nicht noch einmal hätte sehen müssen. Denn auf diese Qual konnte er gut verzichten.
Flügelschlagen zerriss die Luft, und der Rabe schoss über seinen Kopf hinweg und landete auf einem Felsblock vor ihm. Gunnar wollte nach ihm greifen, um dem Vogel den Schnabel zuzuhalten. Zu langsam.
Das spöttische Gekrächze des Raben hallte durch das Tal.
Unten sprang Eleanor hastig auf. »Gunnar?«
Mist. Nun hatte er keine
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