Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Händewaschen auf den erstbesten Platz zu den Rittern des Earls. An den niederen Tischen war das Angebot an Fleisch zwar weniger reichhaltig als an der Hohen Tafel, und das Brot war aus gröberem Mehl gebacken, aber es war immer noch weitaus bessere Kost, als die, die er sonst an den meisten Abenden bekam, und so verzehrte er sie mit ebenso großem Appetit.
Der einzige Nachteil war, dass er nicht neben Eleanor saß, und da er nun keine Gelegenheit hatte, weiter um sie zu werben, blieb ihm nichts anderes übrig, als den gleichen Trick anzuwenden, mit dem er am Abend davor im Familienzimmer so erfolgreich gewesen war: sie zu beobachten, ohne sich den Anschein zu geben, dass er sie überhaupt sah.
Glücklicherweise hatte er absolut freie Sicht, genau über die Schulter des Marschalls hinweg. Wann immer der Mann etwas sagte – was häufig und in epischer Breite geschah –, bot sich Gunnar die Gelegenheit, so zu tun, als höre er aufmerksam zu, während er in Wirklichkeit Lady Eleanor beobachtete.
In mancher Hinsicht befand er sich hier sogar in einer günstigeren Position. Denn so bekam er mehr zu sehen, als es an ihrer Seite der Fall gewesen wäre: wie unbeschwert sie lächelte; wie sie alle, die in ihrer Nähe saßen, mit einer witzigen Bemerkung, die er nicht hören konnte, zum Lachen brachte; wie sie jeden einzelnen Bissen mit eleganten Fingern auswählte, wenngleich dieses Mal nicht, um das Stück Fleisch oder Gemüse zu seinem Mund zu führen.
Wie sie ihn ansah, dann den Blick abwandte und dabei behutsam das Fett von ihren Fingerspitzen leckte.
Genau dieses Bild hatte er noch vor Augen, als nach dem Essen Lucy auf ihn zukam.
»Seine Lordschaft lässt fragen, ob Ihr Euch zu ihm in das Familienzimmer gesellen wollt, und …« Sie zögerte und zupfte an einem losen Faden ihres Ärmels.
»Was?«
»Und Mylady lässt ausrichten, sie verlangt nach Euch.« Sie deutete einen Knicks an und entfernte sich eilig.
Mylady lässt ausrichten, sie verlangt nach Euch. Die Wortwahl gefiel ihm, verlangt nach Euch, und er fragte sich, ob Eleanor diese Worte mit Absicht so gewählt hatte, um ihn an den kurzen Moment zu erinnern, als sie im Familienzimmer allein gewesen waren. Der Gedanke daran, wie sie sich in seine Arme geworfen hatte, nahm ihm noch immer den Atem. Ein Teil von ihm sehnte sich nach den alten Zeiten, den Zeiten der Einfälle der Nordleute, als er ein Plünderer gewesen war und sie einfach über den Sattel seines Pferdes hätte werfen können, um mit ihr davonzureiten, ohne irgendjemanden zu fragen.
Aber diese Zeiten waren längst vorbei. Jetzt war es die Zeit der Brautwerbung, der Subtilität und unbeobachteten Momente, der Art augenscheinlicher Gelassenheit, wie sie Eleanor am Abend nach ihrem Kuss gezeigt hatte.
Aye, sie hatte ihm den Weg gewiesen, vorausgesetzt, er schaffte es, ihr zu folgen. Das bereitete ihm Sorge. Es gab viele Gründe, warum sich seine fylgja, seine Seele, sein Folgegeist, in der Gestalt eines Stiers manifestierte, Gewitztheit und Geschick waren nicht darunter.
Also wappnete er sich für die bevorstehende Herausforderung, verspeiste die letzten Bissen seines Essens, nahm seinen Becher und machte sich auf den Weg in das Familienzimmer. Und obwohl er der Letzte war, der die Halle verließ, ging Eleanor – zufällig oder willentlich? – plötzlich neben ihm her. Auf der Hut vor all den wachsamen Blicken zeigte Gunnar ihr gegenüber das gleiche Maß an Höflichkeit, wie er es ihren Schwestern gegenüber getan hätte.
»Wie verliefen Eure Angelegenheiten, Monsire? «, fragte sie, als sie die erste Stufe der Treppe betraten. In der Enge des Aufgangs streifte ihre Hand die seine. Er ballte sie zur Faust und öffnete sie wieder, bemüht, seine Sinne trotz ihrer Berührung zusammenzuhalten, ehe der Drang, seine Hand nach ihr auszustrecken, ihn übermannte.
»Weder gut noch schlecht.« Noch irgendwie sonst. Denn natürlich gab es überhaupt keine Angelegenheiten, abgesehen davon, zu verbergen, was er tagsüber war. »Ich fürchte, es wird einige Wochen dauern, bis alles erledigt ist.«
»Ah. Dann werdet Ihr also eine Weile in dieser Gegend bleiben. Da käme es Euch doch gelegen, hier auf Raby zu wohnen.«
Sie hatten die Galerie erreicht, und er trat zur Seite, um ihr den Vortritt in das Familienzimmer zu lassen. »Das wäre eine günstige Ausgangsposition, vorausgesetzt, der Earl ist bereit, sie mir zu gewähren.«
»Was zu gewähren?«, fragte Westmorland, als sie den Raum
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