Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
betraten.
»Hierzubleiben, während er seine Angelegenheiten regelt, Mylord«, antwortete Eleanor. »Ich will mich ja nicht einmischen, aber …«
»Selbstverständlich könnt Ihr hierbleiben«, sagte Westmorland an Gunnar gerichtet. »Der Marschall kann ein Bett in der Garnison bereitstellen.«
»Ein sehr großzügiges Angebot, Mylord, aber ich habe einen unruhigen Schlaf und muss meistens schon vor Tagesanbruch losreiten. Da wäre es weitaus angenehmer für Eure Männer, wenn ich in der Halle schliefe.«
»Wäre es? Nun, dann eben in der Halle. Bertrand!«
Als ihr Vater sich umdrehte, um seinem Steward ein paar knappe Anweisungen zuzurufen, huschte ein Lächeln über Eleanors Gesicht, flüchtig wie eine Mücke verriet es ihre Freude, im Gegensatz zu ihrer Stimme und ihrer Haltung.
Sämtliche Gäste und erwachsenen Kinder des Earls, all jene, die zur Erziehung am Hof waren, sowie höherrangige Ritter bevölkerten an diesem Abend das Familienzimmer. Pagen eilten geschäftig umher, um Weinbecher und Bierkrüge aufzufüllen. Diener trugen Spieltische und -bretter herbei, Letztere für diejenigen, die auf den dicken Teppichen und Bodenkissen Platz genommen hatten. Als ein Spielmann und ein Harfner am anderen Ende des Raums ein Lied anstimmten, wurde Gunnar in die Kaminecke an den Tisch des Earls gebeten, um mit einigen Neuankömmlingen bekannt gemacht zu werden. Er fand sich einem jungen Burschen von etwa zwei mal zehn Jahren gegenüber, der ihm vage bekannt vorkam.
»Sicherlich kennt Ihr Euch bereits«, sagte Westmorland.
Der Jüngling sah Gunnar prüfend an, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, Mylord. Ich kenne ihn nicht. Sollte ich?«
Westmorland sah Gunnar, der ebenso verwirrt schien, fragend an. »Wie ist das möglich? Gehört Lesbury denn nicht zu Alnwick?«
Natürlich. Der junge Mann war ein Percy, deshalb kam er Gunnar bekannt vor. Er hatte Ähnlichkeit mit dem alten Earl, der, wenn Gunnar sich nicht irrte, der Großvater des Jünglings war. Der Junge wäre Earl von Northumberland und damit Lord von Alnwick geworden, hätten sein Vater und sein Großvater sich nicht als rebellische Narren erwiesen. Nun waren beide tot, Land und Titel waren von der Krone eingezogen worden, und der Erbe, nämlich der Junge, der ihm hier gegenübersaß, stand mit nichts weiter als einem befleckten Namen da.
»Ich kam zur Welt, als meine Eltern sich auf einer Pilgerreise befanden, Mylord«, beeilte sich Gunnar zu erklären. An diese Geschichte hatten seine Gefährten und er sich stets gehalten, um ihr Stück Land im Verlauf der Jahrhunderte von Mann zu Mann weiterzugeben. Jetzt konnte er nur hoffen, dass die Erklärung noch eine Weile reichte. Denn es wurde schwieriger, diese Lüge aufrechtzuerhalten, je mehr schriftliche Aufzeichnungen die Engländer führten. »Ich wurde in Geldern erzogen und war noch nicht zurückgekehrt, um meine Ländereien in Besitz zu nehmen, als unser junger Lord Percy hier noch auf Alnwick war.«
»Nun, dann wurde es ja höchste Zeit, sich kennenzulernen, selbst wenn er nicht mehr Euer Lord ist. Und auch nicht Lord von irgendetwas anderem. Henry Percy, das ist Sir Gunnar von Lesbury. Er wird Euch eines Tages zur Lehnstreue verpflichtet sein, vorausgesetzt es gelingt Euch, Euren Titel zurückzugewinnen.«
Percy nickte Gunnar höflich zu, Westmorland hingegen bedachte er lediglich mit einem eisigen Blick. Ein anderer Gast, Lord Lumley aus Surrey, dem Percys düstere Miene nicht entgangen war, wandte sich an den Earl und fragte: »Soll ich die Schachfiguren aufstellen, Mylord?«
»Aye. Wie ich gestern Abend festgestellt habe, ist Sir Gunnar beim Schach ein ebenbürtiger Partner. Wir sollten ein kleines Turnier abhalten, und ich werde anschließend den Sieger herausfordern.«
Eleanor, die sich für eine Weile entfernt hatte, erschien an der Seite ihres Vaters. »Schon wieder Schach, Mylord? Ich hatte gehofft, wir würden vielleicht Karten spielen. Das haben wir schon lange nicht mehr getan.«
»Karten?« Sogleich lebte Lord Lumley auf. »Ich spiele gern Karten.«
»Hm. Vielleicht.« Westmorland wandte sich an Gunnar. »Spielt Ihr auch, Sir?«
»Ich, ähm, glaube nicht, Mylord. »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, was Karten überhaupt ist. Oder sind.«
»Wirklich nicht?« Der Earl trommelte mit den Fingern auf den Tisch und dachte kurz darüber nach. »Sie sind zwar etwas Neues, aber so neu nun auch wieder nicht. Wo seid Ihr nur gewesen, dass Ihr nichts davon mitbekommen
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