Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
merkwürdig wäre, einen Stier vor sich zu haben, der sich in einen Mann verwandelt.«
»Ihr sagtet dem Alten, es sei eine Ehre.«
»Wenn es ein Gott wäre. Und wenn ich eine Heidin wäre und an solche Dinge glauben würde. Aber das bin ich nicht, und ich glaube nicht an so etwas«, sagte sie in bestimmtem Ton. »Es war bloß eine alte Geschichte.«
»Und wenn nicht?«, drängte er weiter, denn er wollte wissen – musste wissen –, was sie tief in ihrem Inneren darüber dachte. »Was, wenn etwas Derartiges möglich wäre, aber der Stier wäre nur ein Mann und Ihr einfach nur Eleanor?«
»Ich würde vor Angst davonlaufen, denn wie sollte sich ein Mann in einen Stier verwandeln, es sei denn, er wäre ein Dämon?«
Gunnar wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte. »Vielleicht ist er ja ohne eigenes Verschulden verflucht worden.«
»Ich vermute, das ginge. Meine Amme hat mir immer von solchen Flüchen erzählt«, sagte sie nachdenklich. »Von guten Männern, die von Leuten, die sich böser Mächte bedienten, in Wölfe oder Kaninchen oder in Füchse verwandelt wurden. Wenn ich sicher wäre, dass es so war, dann würde ich vielleicht nicht weglaufen. Aber wie könnte ich mir dessen jemals sicher sein?«
Ja, wie? Aber ihre Frage ließ ihn hoffen. »Ich weiß nicht, Mylady. Aber ich werde mir darüber Gedanken machen. Kommt, wir sollten uns wieder zu den anderen gesellen.«
»Wartet. Bevor wir wieder dort hinübergehen, wollte ich … In drei Tagen ist Maifest. Wollt Ihr mich begleiten? Der Lord, mein Vater, geht nie mit, und so ist es ein sehr ungezwungener Tag. Es wäre eine Gelegenheit, um …«
»Ich kann nicht, Mylady.«
Gekränkt verdüsterte sich ihr Gesicht. »Wieder einmal Eure mysteriösen Angelegenheiten. Ich habe sehr viel Geduld mit Euch und Euren Angelegenheiten bewiesen, aber ganz ehrlich, könnt Ihr Euch nicht einmal davon frei machen?«
Hilflos hob er die Hände.
»Was für Angelegenheiten könnten das sein, die Euch Tag für Tag in Anspruch nehmen, sogar am Maifeiertag?«
»Derart, dass ich nichts daran ändern kann«, sagte er, ohne auf ihre Frage zu antworten, denn das konnte er nicht. Noch nicht. »Aber wenn ich es könnte, würde ich jede Stunde des Sonnenlichts dazu nutzen, Euch zum Lächeln zu bringen.«
»Dann tut es doch einfach! Verschiebt Eure Verpflichtungen, wenigstens dieses eine Mal. Ihr werdet feststellen, dass Ihr eine leicht zu bewältigende Aufgabe vor Euch habt, denn Eure bloße Anwesenheit bei den Feierlichkeiten wird genug sein, um mich den ganzen Tag lang lächeln zu lassen.«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Das wäre ein wundervoller Anblick, aber so gern ich ihn auch genießen würde, ich kann nicht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Manchmal verstehe ich es selbst nicht«, sagte er leise. »Aber es ist, wie es ist. Doch eines müsst Ihr wissen, Mylady, es gefällt mir ebenso wenig wie Euch. Nun kommt mit. Die anderen fangen an, zu neugierig zu werden.«
Auch in dieser Nacht zeigte sie sich nicht, und dieses eine Mal war Gunnar sogar froh darüber. Denn so hatte er Zeit, über alles, was sie gesagt hatte, nachzudenken. Einen Plan zu schmieden. Die Götter anzuflehen, damit sie ihm einen Weg aufzeigten, wie er Eleanor davon überzeugen konnte, dass er kein Dämon war.
Denn in drei Tagen war Maifeiertag.
Und sie hatte gesagt, sie würde vielleicht nicht weglaufen.
Kapitel 10
O nein, da ist sie wieder«, sagte Mary. »Alle aufstehen, um der Maikönigin die Ehre zu erweisen.«
Eleanor legte die getrocknete Feige weg, die sie sich gerade hatte schmecken lassen wollen. Sie rang sich ein Lächeln ab und stand gemeinsam mit den anderen auf, um einen Knicks zu machen und sich zum tausendsten Mal zu fragen, welcher Teufel ihren Vater eigentlich geritten haben musste, als er unter all seinen Töchtern ausgerechnet Anne zur Maikönigin erklärt hatte. Es musste nun schon das vierte, nein, das fünfte Mal sein, dass Anne an den Feiernden vorbeistolzierte und verlangte, dass ihre Untertanen ihr die Ehre erwiesen.
»Macht es Euch bequem«, sagte Anne. »Warum seid ihr überhaupt alle hier? Eigentlich müsstet ihr doch im Pavillon sein, um mich zu hofieren.«
»Der ist bereits überfüllt, Majestät. Eure ergebenen Untertanen würden nicht mehr hineinpassen«, sagte Henry Percy. »Ihr wollt doch sicher nicht das treue Volk Eures Reiches enttäuschen.«
Anne warf einen Blick über die Schulter auf die Leute von Staindrop, die Dörfler, die sie mit
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