Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
hätte sie da dieselbe bleiben sollen, so als würde sie dieser gigantische Umbruch nichts angehen? Sie musste sich mit alldem auseinandersetzen, und das hatte sie selbstverständlich verändert.
Michelles Miene versteinerte, und sie zog die Stirn in Falten. »Eigentlich mag ich dich nicht mehr besonders. Nur weil du dir jetzt alles Mögliche kaufen kannst, sind dir deine früheren Freunde plötzlich nicht mehr gut genug.«
»Als ich mein Geld ausgegeben habe, um dir Schuhe und Schmuck und eine neue Couch zu kaufen, mochtest du mich sehr wohl«, merkte Jenner an. »Und du mochtest mich auch, als ich dich zu jedem einzelnen Essen eingeladen habe, als ich dich in die Ferien mitgenommen habe und solange ich jeden Abend, den wir hier verbracht haben, die Zeche übernommen habe.« Sie klatschte die Scheine in Michelles Hand. »Das ist alles, was ich bei mir habe. Viel Spaß.«
Michelles Finger packten das Geld, aber das Feixen wollte nicht weichen. »Schlampe«, sagte sie.
Das Wort traf Jenner tief. Trotz dieses Streits hatte sie fest damit gerechnet, dass sie sich morgen mit Michelle aussöhnen würde. Doch als sie das Gift in Michelles Miene sah und es in ihrer Stimme hörte, begriff etwas in ihr, dass sie morgen keine Entschuldigung hören würde.
»Adieu«, brachte sie trotz ihrer erstickenden Trauer mit
eigenartig zärtlicher Stimme heraus, dann drehte sie sich um und stolzierte über den Bürgersteig davon. Sie hörte die Tür schlagen, als Michelle in der Bar verschwand. So schnell wie der Knall gekommen war, hatte Michelle nicht abgewartet und sich nicht einmal nach ihr umgedreht.
Das war es also gewesen. Die Trauer schnürte ihr die Brust zusammen, bis sie kaum noch atmen konnte. Michelle war jahrelang an ihrer Seite gewesen und hatte stets mit ihr gefeiert und gelacht. Gegenseitig hatten sie sich über abservierte Freunde, grippale Infekte und kostspielige Mahnbescheide hinweggetröstet. Sie hatten in derselben Welt gelebt, und das taten sie nicht mehr.
Sie entriegelte den Camry mit der Fernbedienung und rutschte hinter das Lenkrad. Mit zittrigen Fingern versuchte sie den Schlüssel ins Zündschloss zu schieben. Sie war so müde, dass sie nur noch nach Hause wollte, aber sie hatte Michelle eben ihren letzten Dollar in die Hand gedrückt, und sie brauchte wenigstens etwas Bargeld. Früher hatte sie oft ohne Geld auskommen müssen, und das hatte ihr gar nicht gefallen. Sie war ungern ganz ohne Bargeld unterwegs und hatte sich schnell an den Gedanken gewöhnt, dass ihr dies jetzt nie mehr so gehen musste.
Im Bird’s gab es einen Geldautomaten - was für die Gäste ausgesprochen praktisch war -, aber sie wollte nicht in die Bar zurück. Traurig begriff sie, dass sie wahrscheinlich zum letzten Mal im Bird’s gewesen war, ein weiterer Markstein ihres Lebens, der jetzt in der Vergangenheit versank. Im Geist ging sie die Gegend durch. Ein paar Blocks weiter gab es ebenfalls einen Automaten, aber die Gegend sagte ihr nicht zu. Stattdessen fuhr sie sicherheitshalber zur nächsten Zweigstelle ihrer Bank - weil sie nicht gern Gebühren zahlte, hob sie das Geld am liebsten bei ihrer eigenen Bank ab -, und hielt vor dem Geldautomaten.
Eine kühle Brise umwehte sie, als sie ausstieg und an den Automaten trat. Sie würde nur ein paar Hunderter abheben, um das zu ersetzen, was sie Michelle geschenkt hatte, denn damit würde sie problemlos übers Wochenende kommen. Sie tippte den Betrag und die PIN ein.
BETRAG NICHT AUSZAHLBAR
Sie starrte auf den kleinen Bildschirm und versuchte blinzelnd, Sinn in diese Auskunft zu bringen. Sie wusste ungefähr, wie viel sie auf dem Konto hatte, auch wenn sie die Auszüge seit einer Woche nicht mehr kontrolliert hatte. Grob überschlagen mussten noch fünfundzwanzigtausend Dollar auf ihrem Konto liegen.
Sie war müde und traurig; vielleicht hatte sie sich beim Betrag um zwei Nullen vertippt. Sie zog die Karte ab, schob sie erneut in den Spalt und tippte sorgfältig den Betrag ein.
Auf dem Bildschirm leuchtete dieselbe Nachricht auf: BETRAG NICHT AUSZAHLBAR.
Zu dieser Uhrzeit war in der Bank alles dunkel, und niemand konnte ihr helfen. Sie überlegte kurz und schob dann die Karte ein drittes Mal in den Spalt, diesmal um ihren Kontostand abzufragen. Wahrscheinlich war der Automat einfach kaputt und speiste jeden, der hier Geld abheben wollte, mit derselben Meldung ab. Oder besser noch, vielleicht war der Automat leer und wollte ihr nur mitteilen, dass er den Betrag nicht auszahlen
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