Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
gefahren, in die altvertraute Doppelhaushälfte - für eine neue Wohnung konnte sie sich noch viel schwerer entscheiden als für ein neues Auto -, und hätte sich dort aufs Ohr gehauen. Wer konnte schon ahnen, dass es zu einem Vollzeitjob ausarten würde, einen Berg von Geld zu verwalten?
Al leistete exzellente Arbeit - und befand sich mit einem Fuß schon in einem größeren Büro -, trotzdem bestand Jenner darauf, bei jedem Schritt beteiligt zu sein, was zur Folge hatte, dass sie viel Zeit bei Payne Echols verbrachte. Sie wollte genau verstehen, was dort ablief, warum Al dieses oder jenes veranlasste und was all die unverständlichen
Begriffe bedeuteten. Sie vertraute Al, aber vielleicht konnte Al nicht immer für sie da sein, und Jenner wollte nicht gezwungen sein, sich auf jemand anderen zu verlassen. Ihr Instinkt riet ihr, sich schlau zu machen, um alles unter Kontrolle zu behalten. Nachdem sie den Tippschein ausgefüllt hatte, hatte sie viel zu lange die Kontrolle über die Ereignisse verloren gehabt. Jetzt hatte sich das wieder geändert, und die Erleichterung war überwältigend.
Endlich gehörte das Geld wirklich ihr. Sie hatte eine aufreibende Zeremonie über sich ergehen lassen, bei der sie sich von Kamerablitzen blenden lassen musste und genauso blendend zurückgestrahlt hatte, bis ihre Wangenmuskeln sich verkrampften und ihre Hand vom Halten des riesigen Papp-Schecks schmerzte - der, wie ihr die Lotterieleute vorsorglich erklärt hatten, nur eine vergrößerte Kopie war und daher nicht eingelöst werden konnte, so als wäre sie die Dorfidiotin und hätte sich das nicht selbst zusammenreimen können -, aber nachdem das überstanden und der ganze Papierkram erledigt war, hatte sie sich leise aus dem Rampenlicht gestohlen - hoffte sie wenigstens. Natürlich war die Presse längst nicht mehr an ihr interessiert. Wenn sie jetzt noch eine neue Wohnung finden und ihr Leben wieder aufnehmen konnte …
Zum Teil hatte sie viel Spaß gehabt. Sie war mit Michelle shoppen gegangen, bis ihnen die Füße wehgetan hatten, und sie hatte dabei nicht nur sich selbst, sondern auch Michelle komplett neu eingekleidet. Handtaschen, Schuhe, echter Schmuck, Seidenblusen, elegante, sexy Kleider … das war wirklich genial gewesen. Aber gleichzeitig hatte sie dabei eine höchst verstörende Erfahrung gemacht - nämlich dass sie es nach ein paar Tagen langweilig gefunden hatte, shoppen zu gehen. Nicht in einer Million Jahren hätte sie das für möglich gehalten, aber genauso war
es. Geld ausgeben zu können war fantastisch. Doch nach dem ersten euphorischen Kaufrausch hatte sie nichts mehr gesehen, was sie unbedingt hätte haben wollen, und dann hatte die Langeweile eingesetzt. Irgendwie hatte sie immer noch das Gefühl, dass das Universum sie betrogen hatte.
Ihr Leben hatte sich eindeutig verändert. Schon jetzt waren die meisten alten Freunde auf der Strecke geblieben, während sie sich mit ihrem Anwalt William Lourdes immer besser verstand. Er war ein Hai, aber er war ihr Hai. Er hatte nur gelächelt, als er Dylans Klageschrift gelesen hatte. Und kaum hatte Lourdes eine Gegenklage mit einer Schadensersatzforderung eingereicht, die Dylan an den Bettelstab gebracht hätte, hatte Dylan seine Klage fallen gelassen und war aus ihrer Welt verschwunden. Danach hatte Bill, wie Lourdes unbedingt von ihr genannt werden wollte, ihr Vermögen so gesichert, dass kein menschlicher Aasfresser seine Klauen hineinschlagen konnte, falls ihr etwas zustoßen sollte.
Auf dem Fahrersitz in ihrem dunklen Auto sitzend merkte Jenner, wie ein Lächeln um ihre Lippen spielte, wenn sie sich vorstellte, dass sie, Jenner Redwine, ein Vermögen besaß. Wow.
Sie unterhielt inzwischen ein Sparkonto und ein Girokonto - bei einer Bank, in der sie von allen Angestellten und Managern mit Namen begrüßt wurde und wo man sie immer freundlich und höflich behandelte. Noch vor zwei Monaten wäre sie nicht auf die Idee gekommen, auch nur ein kleines Girokonto zu eröffnen. Jetzt ging sie ständig zur Bank, um Sachen in ihr Schließfach zu legen oder um andere herauszunehmen, weil sie keine Papiere zu Hause aufbewahren konnte, solange Jerry bei ihr aufkreuzte.
Er hatte noch nicht aufgegeben, aber das hatte sie auch nicht angenommen. Sie hatte ihm was zum Anziehen gekauft
und ihm sogar hier und da einen Hunderter zugesteckt, aber ohne wirklich darauf zu hoffen, dass er verschwinden würde. Sie kannte ihren Dad. Eine Weile würde er sich von seiner besten Seite
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