Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
entschied sich für einen Kaffee vorab, stellte das zweite cremefarbene Porzellantässchen richtig herum - kein Styroporbecher hätte es auf die Silver Mist geschafft - und schenkte sich Kaffee ein. Schweigend sah er zu, wie sie genüsslich den ersten Schluck nahm und dann die Hauben von den Tellern hob, um festzustellen, was es zu essen gab.
Sie war beinahe ein wenig enttäuscht, dass das Frühstück
so gewöhnlich war: Vollkorntoast, Rührei, Kartoffeln, Speck. Sie hatte etwas Ekelhaftes erwartet wie kalten Haferschleim oder weich gekochte Eier. Haferschleim war gerade noch erträglich, solange er heiß war, aber nichts auf Erden konnte sie dazu bringen, ein weich gekochtes Ei zu essen, selbst wenn es mit noch so ausgefeilten Utensilien zum Köpfen und Auslöffeln serviert wurde. Sie hätte ihm zugetraut, dass er sie mit kaltem Haferschleim und einem weich gekochten Ei quälte, doch er hatte sie überrascht. Das schlichte Frühstück war fast so etwas wie ein … Friedensangebot?
»Setz dich«, lud er sie großzügig ein und stand dann auf, um ihr einen Stuhl herauszuziehen. Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu und setzte sich; sie hatte sich inzwischen an gutes Benehmen gewöhnt, aber von ihm hätte sie diese Höflichkeit nicht erwartet. Andererseits hatte er etwas beinahe … Europäisches an sich. Immer wieder hob er sich durch Kleinigkeiten wie zum Beispiel seine Kleidung von der Masse ab. Natürlich war er gut angezogen, aber in ihrem Umkreis wimmelte es von gut und teuer angezogenen Menschen, darum musste es mehr sein als nur das. Der Schnitt seiner Kleidung, das Flüssige, Lockere erinnerte eher an … Italien vielleicht? Der Akzent war durch und durch amerikanisch, trotzdem konnte sie die Region nicht genauer bestimmen. Fast als wäre er so viel gereist, dass sein ursprünglicher Akzent sich völlig abgeschliffen hatte.
»Woher kommst du eigentlich?«, fragte sie und begann ihren Toast zu buttern.
Er antwortete nicht, sondern schenkte ihr ein halbes Lächeln, als wollte er ihre Anstrengungen, ihm Informationen zu entlocken, würdigen.
»Ich will nicht wissen, wo du jetzt wohnst«, holte sie
aus. »Sondern ursprünglich.« Sie wollte schon hinzufügen, dass sie den Landesteil meinte, änderte das aber aus einer Eingebung heraus im letzten Sekundenbruchteil ab: »Aus welchem Land.«
Seine blauen Augen hoben sich, und sein Lächeln erlosch. Bingo! Sie konnte ihre Genugtuung kaum verhehlen; ein Schuss ins Blaue, aber er hatte getroffen.
»Wie meinst du das?«, fragte er leise.
Plötzlich dämmerte ihr, dass Cael Traylor womöglich ein sehr gefährlicher Mann war und dass es vielleicht nicht besonders klug war, in seinem Privatleben herumzustochern. Sie provozierte ihn nur, um ihm zu zeigen, dass sie keine dumme Schachfigur war, die er nach Gutdünken auf dem Brett herumschieben konnte. Wenigstens war sie nicht dumm , denn momentan war sie für ihn eindeutig nur eine Schachfigur.
So lässig wie möglich biss sie von ihrem Toast ab. »Dein Akzent«, erklärte sie, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte. »Der klingt so ungewöhnlich …«
»Pass auf, dass deine Fantasie nicht mit dir durchgeht.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich bin Amerikaner.«
Ach was. Na sicher.
Sie ließ das Thema fallen und widmete sich ganz ihrem Frühstück. Trotz der Wärmehaube waren die Eier zu kalt, als dass Jenner sie noch hinunterwürgen konnte, und sie konnte es schon gar nicht unter seinem wachsamen Blick. Speck und Toast waren noch erträglich, weil selbst kalter Speck und Toast verdammt gut schmeckten, aber solange er vor ihr saß und sie bei jeder Bewegung beobachtete, brachte sie kaum einen Bissen hinunter. Schließlich legte sie den Toast auf den Teller zurück und sagte: »Hör auf, mich so anzustarren! Ich bin kein Affe im Zoo.«
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Dann brauche ich also nicht in Deckung zu gehen?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Tatsächlich wünschte sie sich, sie hätte irgendwas Ekliges, das sie nach ihm werfen konnte. »Hör einfach auf, mich anzuglotzen, okay? Hast du nichts Wichtigeres zu tun?«
»Nein.«
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, den Handschellenschlüssel stehlen zu wollen, denn es sah nicht so aus, als würde er ihr irgendwelche Freiräume gewähren. So konnte sie unmöglich weiteressen, darum knurrte sie: »Die Show ist vorbei«, und stand auf. Sie füllte ihre Tasse wieder auf und ging damit auf den Balkon, ohne sich umzudrehen, um
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